Für die Tarifparteien der nordrhein-westfälischen Metallindustrie schien der Kompromiß bei der Lohnfortzahlung schon perfekt. Da ließen die Arbeitgeber den Pilotabschluß doch noch platzen. Ein Metaller-Streik ist nicht mehr auszuschließen.

Für die Tarifparteien der nordrhein-westfälischen Metallindustrie schien der Kompromiß bei der Lohnfortzahlung schon perfekt. Da ließen die Arbeitgeber den Pilotabschluß doch noch platzen. Ein Metaller-Streik ist nicht mehr auszuschließen.

Nächtliches Tarifpoker endet im Frust

Kurz vor 23 Uhr machen sich Harald Schartau und Otto König allein auf den Weg. Vollbepackt mit Akten geht es wieder von der 10. Etage des Düsseldorfer Edelhotels hinab zum Verhandlungsraum. Die entscheidende Runde im Tarifpoker naht. Im Acht-Augen-Gespräch soll nun der Durchbruch versucht werden. Hinter den beiden Gewerkschaftern liegt „eine Heidendiskussion“ (Schartau) mit den eigenen Leuten. Im Grundsatz liegt die Kompromißlinie auf seiten der Metaller zu dieser Stunde fest. Unten in der Lobby spricht Martin Kannegiesser, Verhandlungsführer der nordrhein-westfälischen Arbeitgeber, zum selben Zeitpunkt von „einer schwierigen Verhandlungsphase“, die es zu meistern gelte.

Fast drei Stunden lang hält das Ringen der vier Tarifmatadore an. Schon während der Stunden zuvor war den Metallern klar geworden, daß es dem Arbeitgeberlager schon längst nicht mehr nur um reine Kostensenkungen ging. Dabei hatte die IG Metall deutlich ihre Bereitschaft signalisiert, die Reduktion von Kosten mitzutragen. Eine Lösung über das knappe Prozent an Kostenersparnis, das nach der eigenen Rechnung der Metallarbeitgeber die Anwendung der neuen Gesetzeslage der Branche bescheren würde, lag auf dem Tisch. Der Verzicht auf Berücksichtigung von Überstundenzuschlägen bei der Berechnung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gehörte ebenso zu dem Entlastungspaket wie die mögliche Fest- und Fortschreibung der Urlaubs- und Weihnachtsgeldzahlungen auf das Niveau von 1994.

Doch das reicht den Metallarbeitgebervertretern nicht. Sie wollen die im Gesetz angelegte Systemwende auch im Tarifvertrag durchsetzen: Wer krank ist, soll weniger verdienen. Immer wieder versuchen sie die individuelle Lohnsenkung in den unterschiedlichen Modellen zu verankern. „Die wollen“, so schimpft ein Betriebsrat während einer Verhandlungspause, „unbedingt den Bestrafungscharakter festschreiben.“

Im Gewerkschaftslager ist man sich indes einig: „Diesen Weg gehen wir nicht mit.“ Nichts geht mehr. Als Kompromiß bringt IG- Metall-Verhandlungsführer Schartau dann nach langen internen Beratungen ein Modell ins Gespräch, das eine Verbindung zwischen dem kollektiven Krankenstand und der Höhe der Sonderzahlungen erlaubt: Bei hohem Krankenstand soll das Weihnachtsgeld im schlimmsten Fall von 60 auf 50 Prozent des Monatsgehalts sinken. Eine für viele Gewerkschafter bittere Pille, zu deren Verabreichung aber auch die IG- Metall-Führung in Frankfurt bereit gewesen wäre. Ganz neu sind solche Koppelungsgeschäfte in der Metallbranche nicht. So zahlt etwa der Opel-Konzern nur noch dann das volle Weihnachtsgeld, wenn die Krankenrate durchschnittlich unter sechs Prozent liegt.

Um drei Uhr in der Nacht scheint die Lösung perfekt, die Sackgasse bei der Lohnfortzahlung überwunden. Während bei den Metallern sich langsam eine gelöste Stimmung breitmacht, wird die in der Viererrunde erzielte Einigung im Arbeitgeberlager nach stundenlanger Diskussion aber wieder kassiert. Für den enttäuschten Harald Schartau steht der Schuldige danach fest. Gescheitert sei das „filigrane Paket“ an dem in Düsseldorf anwesenden Präsidenten von Gesamtmetall, Werner Stumpfe. So nah sei man nie zuvor an einem Pilotabschluß gewesen. „Jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen“, weil eine „andere Instanz“ ein neues Modell „kaputtgemacht“ hat, bilanziert zerknirscht der Bezirkschef gegen fünf Uhr die Lage.

Martin Kannegiesser spricht plötzlich von „grundsätzlichen Webfehlern“ des Modells, die erst während der zweistündigen Diskussion im Arbeitgeberlager deutlich geworden seien. Dabei räumt er ein, daß sich „die Experten aus den anderen Regionen nicht mit dem Modell anfreunden konnten“. Zu Stumpfe schweigt sich Kannegiesser zunächst aus. Ein WDR- Moderator fragt ihn wenig später, ob es richtig sei, daß sich die NRW- Arbeitgeber ohne den Druck von außen mit der IG Metall in dieser Nacht hätten einigen können. Seine Antwort: „Das kann man so vereinfacht nicht sagen.“ Nun ist bei Kannegiesser, der sich Stunden zuvor noch am Verhandlungstisch mit den Gewerkschaftern selbst über die Einzelheiten geeinigt hatte, von einem nicht akzeptablen Modell die Rede, das geeignet sei, „neuen Streit in die Betriebe“ zu tragen.

Nach diesem unrühmlichen Ende deutet sich ein ganz anderer „Streit“ an. Die Blicke richten sich nun nach Bayern, weil dort der Tarifvertrag über die Lohnfortzahlung gekündigt ist. Spätestens Ende März könnte in Bayern gestreikt werden. Möglichkeiten zu ausgedehnten Kampfmaßnahmen bieten sich der IG Metall aber auch bundesweit während der normalen Lohnrunde 1997. Zum 31.1. 97 erlischt auch hier die Friedenspflicht.

Nach 19stündiger Verhandlungsdauer resümiert Arbeitgeber-Verhandlungsführer Kannegiesser: „Wir haben den Slalom um die Hindernisse versucht und sind dabei hingefallen.“ Dieses Versagen könnte die Betriebe teuer zu stehen kommen, denn in Düsseldorf hätte man den gordischen Knoten durchtrennen und gleich vier Fliegen mit einer Klappe schlagen können: Lohnfortzahlung, Beschäftigungssicherung, Sonderzahlungen und die Lohnentwicklung der nächsten zwei Jahre. Statt dessen, so Schartau, „haben wir nun einen Tiefpunkt der Beziehungen erreicht“. Walter Jakobs, Düsseldorf