Weißrussisches Parlament spaltet sich

■ 112 Abgeordnete laufen zu Präsident Lukaschenko über. Sicherheitskräfte setzen oppositionelle Volksvertreter unter Druck. Rußland erkennt Abstimmung an

Minsk (taz/AFP/rtr) – Im Konflikt zwischen den weißrussischen Abgeordneten und Präsident Alexander Lukaschenko hat sich gestern das Parlament gespalten. Nach Angaben von Pro-Lukaschenko-Abgeordneten trafen sich 112 der 199 Mitglieder des alten Parlaments in einem Gebäude nahe des Präsidialamts und riefen ein neues Parlament aus. Lukaschenko sicherte den Überläufern zu, sie würden in seinem neuen Zwei-Kammer-Parlament das Unterhaus stellen.

In dem Verfassungsentwurf, den laut offiziellen Ergebnissen rund 70 Prozent der Abstimmungsberechtigten am Sonntag angenommen hatten, ist unter anderem vorgesehen, das von einer starken Opposition geprägte derzeitige Ein-Kammer-Parlament durch ein Zwei-Kammer-Parlament zu ersetzen. Die eine Kammer soll von Regionalpolitikern gewählt oder von Lukaschenko eingesetzt werden, die zweite Kammer soll nur noch über begrenzte Machtbefugnisse verfügen und um 89 Sitze verkleinert werden. Lukaschenko hat demnach das Recht, innerhalb von einem Monat das derzeitige Parlament aufzulösen, wenn es seine Macht in dieser Frist nicht abgibt.

Einer der Pro-Lukaschenko- Abgeordneten, Iwan Paschkewitsch, begründete die Bildung des Gegenparlaments damit, daß das dem Präsidenten feindlich gesonnene derzeitige Parlament nicht mehr legitim sei. Der Parlamentarier Wladimir Nistjuk bezeichnete den Aufruf als „Verrat am Staat, den Gesetzen und der Verfassung. Es kann in diesem Land keine zwei Parlamente geben, außer wenn eines davon im Gefängnis tagt“, sagte er.

Ein Sprecher des Verfassungsgerichts teilte mit, daß für gestern keine Arbeitssitzung geplant gewesen sei. Unklar blieb, ob eine Sitzung zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen ist. Das Gericht muß unter anderem prüfen, ob die für ein Amtsenthebungsverfahren erforderlichen Unterschriften von mindestens 70 Abgeordneten vorliegen. Einige Abgeordnete hatten unlängst ihre Unterschrift unter einen entsprechenden Antrag zurückgezogen. Am Montag abend hatte die unabhängige Abgeordnete Olga Abramowa in Minsk berichtet, daß diejenigen Abgeordnten, die weiter an einer Amtsenthebung Lukaschenkos festhielten, massiv von Sicherheitskräften unter Druck gesetzt würden.

Unterdessen erkannte der russische Präsident Boris Jelzin das Referendum in Weißrußland an, forderte aber seinen weißrussischen Kollegen nach Angaben seines Sprechers Sergej Jastrschembski gestern zur Zurückhaltung auf. „Präsident Jelzin gibt der sozialen Verständigung und der Ablehnung von Gewalt absoluten Vorrang“, sagte Jastrschembski. Er erwarte von Lukaschenko jetzt „maßvolle Schritte“.