Aristoteles und die Folgen Von Martin Sonneborn

Am Anfang war Aristoteles. Dieser große griechische Denker und erste Aristoteliker seiner Zeit dachte, wie es so seine Art war, oftmals in Ruhe über alles nach. Einmal auch über die Geldwirtschaft. Fast folgerichtig kam er da zu der Erkenntnis, daß der Tausch Ware gegen Geld unbestritten Vorteile gegenüber dem reinen Tauschhandel mit sich bringe; und daß die Existenz von Geld auch seine, Aristoteles', primitive, vorindustrielle Schnäppchenjagd samstags auf der Agora stark vereinfache (zumal bei langen Schlangen an der Kasse!). Schließlich aber, so schrieb der griechische Klassiker resümierend in „Ethica Nicomachea“, stelle Geld als solches doch nur einen billigen „Notbehelf für praktische Bedürfnisse“ dar.

Auf Aristoteles folgten: Goldmünzenprägung, Beginn der neuen Zeitrechnung, Papiergeld (China), Mittelalter, Papiergeld (Europa), Entdeckung Amerikas, Goldwährung, Weltkriege, Adenauer, Plastikgeld. Und heute, am Ende dieser Entwicklung: bargeldloser Zahlungsverkehr. Der sich offensichtlich auch in sensiblen Bereichen unseren Gesellschaft immer mehr durchsetzt.

So bekam etwa der Gitarrenspieler Gsella in den späten achtziger Jahren bei seinen Straßenkonzerten von älteren Damen zum Teil statt der erwünschten Münzen oftmals – Butterbrote (die er übrigens damals, in Unkenntnis der Entwicklung, nach angemessener Zeit wegwarf; Obst hingegen behielt er zum Verzehr). Und der Dame Sabine gegenüber, ihrerzeit Fremdenführerin im Kloster Melk, war es ein Politiker, und zwar der australische Außenminister persönlich, der sich aristotelisch bewandert zeigte: Nachdem er eine komplette englischsprachige Privatführung durch das historische Kloster erhalten hatte, überreichte er statt eines wohlfeilen Trinkgeldes einen bargeldlosen Karton, in dem sich eine prachtgrüne, mit Silbervögeln verzierte Porzellanschale zu Recht vor der Außenwelt verbarg.

Eine Witwe im hohen Rentenalter wiederum entlohnte kürzlich die Dame Tanja, Krankengymnastin, nach der Behandlung mit einem rohen Kotelett. Und eine andere Patientin Tage später nur mit einer Flasche Schultheiß, die sie unter Mühen aus dem Sixpack in der Handtasche löste und mit einem „Machen Sie sich einen schönen Abend!“ auf die Anmeldung hämmerte.

Ja, der Zeichner Lenz, der seinem Beruf manchmal auf einer sonnigen Parkbank nachgeht bzw. dort wegzeichnet, was ihm vor die Feder kommt, wurde einmal sogar von einer flanierenden Schachtel, bei der er gar nicht angestellt war, mit einem Joghurt bezahlt (plus Plastiklöffel).

Aber auch unsere Kreise beginnen es mittlerweile mit Aristoteles zu halten. So quittierte Herr Krähe unlängst qualifizierte Hilfe im Haushalt mit ausrangierten Büchern. Büchern, nebenbei bemerkt, die man noch immer beim bibliophilen Wirt des Wiener Benno-Cafés gegen kleine Biere warentauschen kann.

Und auch wenn es sich dabei dann streng genommen eher um Buchgeld handelt, scheint sich zumindest an der Theke des Benno- Cafés doch eine Entwicklung anzubahnen, die Aristoteles erfreut hätte. Und die gerade uns Kulturkritiker mit der Idee der bargeldlosen Zahlung wieder versöhnen könnte.