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Die Mandarinenlüge

Plünderungen bei Edeka? Zu Nikolaus drohen die Clementinen rar zu werden  ■ Von Ulrike Winkelmann

Nichts bestärkt den Verdacht so sehr wie das Dementi. „Entspannt“, behaupten die Fruchtimporteure Hamburgs, sei die Lage auf dem Zitrusfruchtmarkt. Dem vorweihnachtlichen Clementinen- und Apfelsinenkauf drohe von den französischen Brummifahrern, die die Grenze zu Deutschland blockieren, keine Gefahr. Wirklich?

Aber warum lassen sich die Fädenzieher des Mandarinenimports verleugnen, sprechen Apfelsinenhändler nur, wenn ihr Name ungenannt bleibt, verwickeln sich Informanten aus der Zitrusbranche in Widersprüche? Knallharte taz-Recherche ergab: Wenn Frankreichs LKW-Fahrer weiter streiken, gibt's zu Nikolaus keine Clementinen. Oder, was noch schlimmer wäre, nur ein, zwei kernlose mit dicker Pelle für zehn Mark das Stück. Und die Verantwortlichen schweigen. Der namenlose Mitarbeiter vom Edeka-Fruchtkontor verkündet gar: „Die Versorgungslage ist gut – aufgrund des Streiks der Franzosen hat's noch keinen Preisanstieg gegeben.“ Sollten die Apfelsinen hie oder da ein wenig teurer sein als sonst, so die fadenscheinige Begründung, dann sei das auf den Regen in Marokko zurückzuführen. „An Zitronen gibt es ohnehin genug Bestände.“ Auch Hans-Georg Giese, Vorsitzender des Einzelhandel-Verbands, wiegelt ab, gibt aber zu, daß ein Anstieg der Nachfrage bevorsteht: „Da geht die Welt noch lange nicht von unter, daß hier mal zwei Tage die Apfelsinen ein bißchen knapp sind – aber dafür gibt's dann auch einen Preisverfall, wenn die aufgestaute Ware kommt.“ Zu Hamsterkäufen riet er deshalb nicht.

Sämtliche autorisierten Sprecher des Verbands des hanseatischen Frucht-Imports und -Großhandels waren gestern angeblich auf einer Versammlung in Berlin, die nichts mit dem Zitrusfrucht-Problem zu tun habe. „Wir haben den Eindruck, daß das hochgepuscht wird“, nuschelt eine ebenfalls namenlose Vorzimmerdame ins Telefon, der Löwenanteil der Ware komme eh auf Schleichwegen über die Schweiz ins Land. Sollten die Lebensmittelketten jedoch auf den Gedanken kommen, die Fruchtimporteure regreßpflichtig dafür zu machen, daß es zu Versorgungsengpässen, lies: Plünderungen oder Verbraucher-Aufständen in den Läden kommt, so „wird die Situation mit Sicherheit eskalieren“. Claus Pein, Chef von Hamburgs größtem Importeur spanischer Zitrusfrüchte, hat die Preise für spanisches Gemüse und Zitrusfrüchte bereits um zehn Prozent angehoben – obwohl gestern nur noch zwei seiner Fahrer in Frankreich festhingen. „Das ist eine Sache von Nachfrage und Angebot“, lautet seine eiskalte Erklärung. „Die Preise werden nicht ins Uferlose steigen“, versucht Jörg Schillinger, Sprecher der Spar-Handels AG, Warnzeichen schönzudeuten, aber: „Es ist nicht auszuschließen, daß es nächste Woche eng wird.“

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