■ Der Welt-Aids-Tag im Zeichen der Gesundheitsreform: Pflegeversicherung und Sparwut werden die Situation von Aidskranken verschärfen. Die Deutsche Aids-Hilfe befürchtet das Ende der häuslichen Versorgung von Menschen mit Aids.
: Im Fadenkreu

Der Welt-Aids-Tag im Zeichen der Gesundheitsreform: Pflegeversicherung und Sparwut werden die Situation von Aidskranken verschärfen. Die Deutsche Aids-Hilfe befürchtet das Ende der häuslichen Versorgung von Menschen mit Aids.

Im Fadenkreuz der Sparingenieure

Selbst der Bundespräsident hat sich des einstigen Schmuddelthemas angenommen: „Nach wie vor bedroht Aids die Menschen in schrecklicher Weise“, sagte der oberste Repräsentant des Staates, der auch in diesem Jahr wieder die Schirmherrschaft des Welt-Aids- Tages übernommen hat. „Alle sind aufgefordert“, so appellierte Roman Herzog, „nachhaltig zur Linderung persönlichen Leides und zur Entwicklung wirksamer Hilfe beizutragen.“

Die Worte Herzogs erscheinen wie eine leere Geste: Strengere Maßstäbe der Sozialämter bei den Ermessensleistungen und Verschlechterungen bei ambulanten Leistungen der Krankenkassen sowie höhere Eigenbeteiligungen bei Patienten gehören zum Abrüstungsprogramm im Gesundheitsbereich – und all diese Einschnitte treffen HIV-Infizierte besonders hart.

„Gerade der Pflegebereich scheint in Bonn zum Zankapfel geworden zu sein“, bedauert Rüdiger Kriegel aus dem Vorstand der Berliner Aids-Hilfe. Die von Sozialminister Norbert Blüm (CDU) geschaffene Pflegeversicherung habe die Situation von chronisch Kranken wie eben Menschen mit Aids noch verschärft. Denn zunehmend würden Aidspatienten aus der Kranken- in die noch weniger ausreichende Pflegeversicherung abgeschoben.

Bisher übernehmen nach einem Krankenhausaufenthalt die Krankenkassen vier Wochen lang die häusliche Pflege. Anschließend wird nur noch die sogenannte „Behandlungspflege“ (Infusionen, Medikamente) bezahlt. Die Krankenkassen streben nun an, die Vier-Wochen-Frist auf zwei Wochen zu reduzieren.

Außerdem sollen nach dem Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) solche Pflegeleistungen zu „Gestaltungsleistungen“ der Kassen werden. „Möglicherweise müßten dann viele Aidspatienten in Praxen gefahren werden, um Infusionen zu bekommen“, erklärt Ludger Liesbrock, Leiter des „Felix“-Pflegeteams der Berliner Aids-Hilfe.

Die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) weist darauf hin, daß schon jetzt die Kosten für ärztliche Hausbesuche von den Krankenkassen nicht mehr übernommen würden. Sondervereinbarungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen würden gekündigt. Achim Weber, DAH-Pflegereferent, fürchtet: „Mit minimalem Spareffekt wird maximaler Schaden angerichtet.“ Denn lediglich zwei Prozent der Kassenausgaben entfielen auf den Bereich der häuslichen Krankenpflege.

Die häusliche Pflege von Aidskranken wird bundesweit fast ausschließlich durch gemeinnützige Aids-Spezialpflegedienste geleistet. 70 Prozent aller Leistungen dieser Pflegedienste werden im Rahmen der ambulanten Krankenpflege erbracht. Die DAH befürchtet mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform „das Ende der häuslichen Krankenpflege und den Zusammenbruch der ambulanten Versorgungsstruktur“ für Aidskranke.

„Die sozialen Systeme richten sich immer stärker nach den sogenannten Leistungsträgern, den Besserverdienenden, Gesunden und Erfolgreichen“, bedauert Stefan Etgeton, Geschäftsführer der DAH. Der Aidskranke ist das exakte Gegenbild zum Prototyp der modernen Leistungsgesellschaft – und steht nun im Fadenkreuz der Sparingenieure im Gesundheitssektor.

Die materielle Lage der Menschen mit HIV und Aids werde immer schwieriger, klagt auch Ulrich Heide, Vorstand der Deutschen Aids-Stiftung (DAS). In diesem Jahr sei die Zahl der Anträge auf Einzelfallhilfe bei der Stiftung um fast ein Drittel gestiegen – Folge auch der niedrigen Regelsätze für die Sozialhilfe, die für kranke Menschen bei weitem nicht ausreiche.

Da über 60 Prozent der Betroffenen zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt sind, können sie meist nicht auf Rentenansprüche zurückgreifen. Es bleibt nur der Gang zum Sozialamt mit den sehr eingeschränkten Leistungen für gesunde Ernährung und hohen Heizbedarf. Barbara Dribbusch/Jan Feddersen