Fluxus im Filzpantoffelkino

■ Bremer Kunsthalle verwandelte das Schauspielhaus mit der Beuys/Paik-Performance „Coyote III“ in Edel-Videothek

Die Event-Kultur gebiert ihre Ungeheuer. Eine läppische Premiere reißt keinen mehr vom Hocker. Nein, es muß schon eine Uraufführung oder gar eine Welturaufführung sein, und das selbst dann, wenn sich Verpackung und Inhalt nicht miteinander vertragen. Der neue und bis dato kühnste Schöpfungsstreich gelang einem Veranstalterkonsortium unter Beteiligung der Bremer Kunsthalle im abgelaufenen Monat: Denn mit der auf zwei Großbildleinwände ge-beamten Videoprojektion der letzten gemeinsamen Performance von Nam June Paik und Joseph Beuys ging bei ihm die Uraufführung gleich in Serie. Nach dem Berliner und dem Düsseldorfer Publikum sahen am Sonnabend auch die ZuschauerInnen im ausverkauften Bremer Schauspielhaus „erstmals“ und „einzigenfalls“ die Aufzeichnung des 1984 tatsächlich uraufgeführten Stundenwerks „Piano Duett“ alias „Coyote III“.

Für gestaffelte Preise von 30 bis 80 Mark bekam das Publikum Einlaß in das Filzpantoffelkino, in das sich das Schauspielhaus verwandelt hatte. Filz an den Füßen, Filz auf dem Kopf, dazwischen die gewohnte Globetrotter-Weste, das hagere und gealterte Gesicht und die immer jungen, immer wachen Augen erschien, Joseph Beuys selig auf der Projektionsfläche und wirbelte in geschickt-ungeschickter Persiflage auf den Pop-Star das am Kabelansatz gehaltene Mikrophon durch die Luft. Ein Bild der Bilder das, denn im 75sten Jahr nach seiner Geburt und im zehnten nach seinem Tod hat das Wiedersehen mit dem grünen Künstler Beuys und dem noch lebenden, aber selbst schwer kranken Nam June Paik den Charakter einer Huldigung und einer Bestandsaufnahme zugleich.

Für Nam June Paik, den koreanischen Video-Kunst-Pionier, und Joseph Beuys stehen eine Tafel, Mikrophone und zwei Flügel bereit. Gefilmt im Charme einer Übertragung aus dem Offenen Kanal und dabei durchsetzt mit optischen Anflügen spontaner Genialität, legen die Herren auf der Bühne wie's scheint ohne genauere vorherige Absprache los.

Der gelernte Pianist und studierte Komponist Nam June Paik spielt Etüden aus dem Allerweltsrepertoire und streift Mozart bis Chopin bis Gershwin, wenn er nicht die Tastaturklappe beackert oder aufsteht, um die Saiten des Flügelinneren zu bearbeiten. Ausgerechnet der Asiate Paik sorgt für ein zwischen Tonkunst, Banalität und Aggression changierendes Fundament, weil ausgerechnet der Europäer Beuys antritt, das Publikum an die abgeschnittenen spirituellen Wurzeln der japanischen oder gar der ganzen „westlichen“ Kultur zu erinnern: Gepaart mit Litaneien des ersten Antroposophen Rudolf Steiner grunzt und röchelt er ins Mikrophon und gibt sich viehisch-naturnah als der Koyote aus, mit dem er sich 1974 in einem abgegitterten Raum hatte einschließen lassen. Jetzt spielt Joseph Beuys selbst die Rolle des Koyoten, wagt sich – ach, tropfes Tier! – an die Grenze zwischen Mensch und Kreatur und zelebriert am Höhepunkt und Ende der Fluxuskunst den Unterschied.

Denn Joseph Beuys und mit ihm Nam June Paik brachen die Grenzen der künstlerischen Disziplinen und kündigten der Vorstellung vom handgemachten Original mit dem finalen Bestimmungsort Museum. „Wer in diesem Jahrhundert Maler oder Bildhauer ist, der ist eigentlich kein Künstler mehr“, sagte Beuys einmal und vollzog den Abschied vom Handwerk zugunsten des Konzepts, vom Kunstgenuß zugunsten des Denkanstoßes.

Und tatsächlich ist der subversive Gehalt dieser Kunstauffassung nicht ganz verschwunden: Weil die Performance auch zwölf Jahre nach ihrer Aufführung zum Genuß nicht taugt, verließen einige SchauspielhausbesucherInnen noch während der einstündigen Schau verstört den Saal und wandten sich andere genauso verstört sitzen bleibend ab. Für diese Momente ist Beuys befreit aus den Fängen der Kulturwirtschaft, die den Nachlaß – selbstverständlich – längst im Museum verwaltet und mit ihrem Hang zum Superlativ, zum Erst- und Einmaligen wieder eingrenzt.

Doch so ganz scheint auch das Veranstalterkonsortium dem Frieden nicht getraut zu haben. Man beschränkte sich nicht auf die Präsentation des zu Höchstpreisen verhökerten Fluxus, sondern verpflichtete das – selbstverständlich – renommierte Ensemble Modern zuvor für eine kleine Werkschau durch die Kompositionen des Beuys- und Paik-Geistesbruders John Cage. In neun Stücken für Instrumente, Stimmen, Geschirr oder Radios schillerte ein Ausschnitt aus einem n Lebenswerk von und mit Neuer Musik. Im konzentrierten bis virtuosen, nur im Harfensolo zu ungenauen Spiel der MusikerInnen erschien die Auswahl nicht selten als Karikatur auf das Sujet. Doch auch in den komischen Momenten schimmerte die innovative Kraft von John Cages musikalischen Ideen aus der Aufführung. Und weil Komponisten ihren Nachlaß nunmal als Notat weitergeben, für dessen Wiederbelebung in der Regel echte Menschen auf die Bühne müssen, triumphierte Cage über das „Uraufführungs“-Brimbamborium und die Ungeheuer der Event-Kultur. Christoph Köster