■ Die Massendemonstrationen in Serbien gegen die Regierung von Slobodan Milošević halten an
: Der Westen ans Telefon!

„Gestorben an einer Überdosis Macht.“ So lautet der Text einer „Todesanzeige“ für den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević, die protestierende Belgrader Studenten letzte Woche auf den Straßen der jugoslawischen Hauptstadt verteilten. Aber ein Ableben des Potentaten ist nicht in Sicht. Der politische Überlebenskünstler Milošević ist lebendig – und zynisch – wie eh und je.

Hunderttausende von Studenten, verarmten Intellektuellen, brotlosen Arbeitern und hungernden Rentnern demonstrieren seit 13 Tagen in Belgrad und anderen serbischen Städten. Sie bilden keine Menschenketten und zünden keine Kerzchen an. Aus ihnen spricht blanke Wut, auch wenn sie bislang ihre Demonstrationen gewaltfrei hielten. Gegenstand ihrer Wut ist ein Diktator und eine Diktatur, die sich nicht einmal sophisticated (wie manche sie bezeichnet haben) nennen kann. 100.000 Polizisten in Spezialeinheiten sind ebensowenig sophisticated wie vollständig kontrollierte Medien oder Minister, die sich immens bereichern, in dem sie als Direktoren von Privatfirmen mit strategischen Gütern handeln. Und es ist nicht sophisticated, wenn Menschen bespitzelt, entführt oder vor Gericht gestellt werden, nur weil sie es wagen, öffentlich ihre Meinung kundzutun. Es ist Diktatur pur.

Die Belgrader Demonstranten haben jedoch wenig gemeinsam mit jenen Menschen, die im Jahre 1989 in Leipzig oder Prag demonstrierten. Denen war es darum gegangen, einem Regime den Todesschlag zu versetzen, das von außen schon zum Tode verurteilt worden war. Bei der Diktatur von Slobodan Milošević und seiner Frau ist das nicht der Fall. Ihr Regime wird vom Ausland der Form nach vielleicht diskret, aber im Prinzip vorbehaltlos unterstützt. Milošević, der einst als Kriegstreiber galt, wird jetzt gleichermaßen von den Medien Jugoslawiens und denen des Westens zum „Helden des Friedens“ und „Garanten der Stabilität auf dem Balkan“ hochstilisiert.

All das ist Unsinn. „Garant des Friedens“ ist nicht ein Milošević (auch nicht ein Tudjman und ein Izetbegović oder alle drei zusammen), sondern es sind die GIs und andere auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawien stationierten ausländischen Soldaten. Das Dayton-Abkommen könnte begraben werden, wenn seine Verwirklichung vom guten Willen eines Diktators abhinge. Einschlägige Erfahrungen lehren ferner, daß es mit Wahlfälschungen, mit einer verarmten und verunsicherten Bevölkerung, ohne Pressefreiheit und Achtung der Menschenrechte auf Dauer keine Stabilität geben kann.

Der Opposition in Serbien wird vorgeworfen, sie sei nationalistisch und daher als Partner der internationalen Gemeinschaft (sprich: des Westens) nicht glaubwürdig. Zugegeben, die Oppositionsparteien (mit Ausnahme der bürgerlichen Allianz Serbiens) sind wirklich keine Verkörperung von Ideen der „zivilen und multikulturellen Gesellschaft“. Aber diese Opposition ist gewiß nicht nationalistischer als die Regimes in anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien, die die ausdrückliche Unterstützung des Westens genießen.

Der gängige Einwand, die Opposition würde die Friedensverträge nicht weiter umsetzen, ist ebenfalls aus der Luft gegriffen. Er läßt außer acht, daß sich die Opposition nach einer etwaigen Machtübernahme zuerst vor allem den katastrophalen Umständen in Serbien widmen müßte. Dafür bräuchte sie „eindeutige Verhältnisse“ im „nahen Ausland“, vor allem in Bosnien und Herzegowina. Die vier zum Bündnis „Zajedno“ (Gemeinsam) vereinigten Oppositionsparteien haben zudem erklärt, sie würden, wenn sie die Regierung übernähmen, alle internationalen Verträge einhalten.

Der serbische Präsident kann in diesem Moment mit zwei Faktoren rechnen: mit dem nahenden strengen Winter, der den Elan der Demonstranten lähmen wird, und mit dem Schweigen (beziehungsweise der diskreten Unterstützung) des Westens. Man hat ja auch im Ausland keinen großen Wirbel gemacht, als bei den Kommunalwahlen für den Stadtrat in Mostar (der Vorzeigestadt für den Friedensprozeß in Bosnien unter dem Patronat der EU) in den Urnen (für Flüchtlinge) in Bonn mehr Zettel auftauchten, als es registrierte Wähler gegeben hatte. Aber in Belgrad geht es nicht um eine vergleichsweise niedrige Zahl zu annulierender Stimmen, sondern darum, ob eine Diktatur weiter gestützt wird.

Die serbische bürgerliche Opposition ist schwach. Bei den Parlamentswahlen am 3. November, die zusammen mit der ersten Runde der später teilweise annullierten Kommunalwahlen stattgefunden haben, hatte sie nicht einmal eine Million Stimmen gewonnen. Die regierenden Sozialisten haben 1,85 Millionen, die Ultranationalisten aus der oppositionellen serbischen radikalen Partei fast 750.000 Stimmen bekommen. Aber auf der kommunalen Ebene, wo die ganze Korruption der herrschenden Sozialisten sichtbarer ist, hat die Opposition mehr Erfolge verzeichnen können. Sie haben zwar die Wahlen in nur 45 von 189 Gemeinden in Serbien gewonnen, aber in diesen leben 60 Prozent der Bevölkerung Serbiens. Um so größer ist der Erfolg der Opposition, die es jetzt schafft, Hunderttausende von Menschen auf die serbischen Straßen zu holen. Ob sie im Endeffekt Erfolg hat, hängt davon ab, ob es ihr gelingt, die Welle der Unzufriedenheit bis zu den Wahlen für das Republikparlament im nächsten Herbst (die auch vorgezogen werden könnten) zu erhalten.

Im Westen fragt man sich: „Wieso erwartet die serbische Opposition, daß wir sie unterstützen?“ Wirklich, warum? Vielleicht deshalb, weil dies für Länder logisch sein sollte, „die sich in Sachen Menschenrechte nicht überbieten lassen“ (Zitat von Klaus Kinkel). Und das Recht, einen vorschriftsmäßig errungenen Erfolg bei Kommunalwahlen auch „konsumieren“ zu können, gehört hoffentlich dazu. Es kann auch dem Westen nicht egal sein, ob er einen Diktator oder einen demokratisch gewählten Politiker als Partner haben wird. Die Chefs der Oppositionskoalition jetzt durch Einladungen nach Washington, Brüssel, Bonn und in andere Hauptstädten zu stärken, wäre wahrscheinlich nicht zuviel verlangt.

Offen zu sagen, daß man (nicht einmal Oppositionsparteien, sondern) Bürger eines Staates unterstützt, die mehr Demokratie wollen, ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Das gilt natürlich insbesondere, wenn man nicht die Telefonnummer von Slobodan Milošević hat und ihm diese wichtige Nachricht nicht direkt vermitteln kann. Snežana Bogavac