Edel und allzeit bestürzt

■ „Volk und Wahn“ – Henryk M. Broders „Spiegel“-Glossen in Buchform sagen alle: Deutsch sein heißt peinlich sein

Die Deutschen sind weinerlich-weich und kruppstahl-hart, sie bewältigen ihre Vergangenheit so verbissen, wie sie sie verdrängen, sie sind so arbeitsscheu wie Gymnasial-Lehrer und so dienstbeflissen wie preußische Beamte.

Wer möchte da widersprechen? Das Schöne an Polemik ist, daß sie immer wahr ist, denn der Polemiker ist immun. Schließlich kann er allen seinen Kritikern unterstellen, sie fühlten sich angesprochen und seien deshalb hysterisch. Hinzu kommt, daß der Geltungsanspruch der Polemik parallel zu ihrer Adressatengruppe wächst, und so kommt es, daß Henryk M. Broders Essays über die Deutschen immer wahr sind und er immer recht hat.

In Volk und Wahn, so der Titel von Broders neuem Buch, wird ein Teil seiner aus dem Spiegel bekannten Besinnungsaufsätze zusammengefaßt und durch Portraits oder Kurzbiographien kleiner und großer Arschlöcher ergänzt.

Es liest sich nett, wenn ein Feuilleton-Protagonist über Talkshow-Protagonisten herzieht, weil er ihnen Vergangenheit oder Dasein als IM der Stasi, als schlechte Bänkelsänger oder als Opportunisten nicht verzeihen mag. Broder weiß, wo Täter und wo Opfer sitzen, und bei dieser Aufteilung trübt kein analytischer Schatten den Bannstrahl seines Urteils.

Dem Rest der Bevölkerung – außer Wolfgang Biermann, dem anderen Spiegel-Essayisten zum Thema deutsch-deutsche Befindlichkeit – mag Broder allerdings nur Doppelmoral und Ignoranz unterstellen: „Edel sei der Deutsche, hilfreich und allzeit bestürzt, daß die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte: friedlich, solidarisch und FCKW-frei.“

Öffentliche Debatten vom Golfkrieg über den Ladenschluß bis zum Holocaust-Mahnmal bringt Broder auf den kleinsten und angreifbarsten Nenner „deutsch“, soll heißen „peinlich“. Dazu ist es unbedingt notwendig, rationale Argumente, Motivation und Lobby-Interessen aus den Augen zu verlieren, und deshalb sind FCKW-freie Kühlschränke also allein deshalb doof, weil sie hier gekauft werden.

Nun ist Selbstironie tatsächlich nicht unbedingt ein deutscher Exportschlager, und für einen Metropoliten wie Broder, der viel von oben und von außen gucken kann, stellt das Deutschtum als solches sicherlich bisweilen ebenso ein Problem dar wie sein verspäteter Flug nach Paris, der ihm eine Haß-Glosse auf die Lufthansa wert war.

Wahrscheinlich sollten alle, die sich bislang um solche Lappalien wie deutsche Kriegseinsätze oder französische Atomtests gekümmert haben, lieber zusammen mit Broder über das Herzeleid eines Stefan Heym oder die „autoritäre Seele“ eines Günter Grass räsonieren, auf du und du quasi. Oder ihre Konsumentenrechte gegen Einzelhandel und Lufthansa besser durchsetzen lernen.

Ulrike Winkelmann

Henryk M. Broder: „Volk und Wahn“, Spiegel-Buchverlag, 255 Seiten, 36 Mark