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Die Nordfriesen bevorzugen den hölzernen Christbäumen

■ Auch auf Weihnachtsschmuck wird verzichtet - statt Kugeln hängen Gebäck, rote Äpfel, Backpflaumen und Rosinenketten an den Zweigen

Offiziell beginnt die Adventszeit auch auf den nordfriesischen Inseln erst einen Monat vor dem Heiligen Abend. Für Bäcker Uwe Clausen im Amrumer Friesendorf Nebel ist allerdings schon Wochen vorher „Weihnachten“ angesagt. Jeden Morgen steht er ab Anfang November in seiner Backstube und widmet sich – nachdem die tägliche Brötchenbäckerei beendet ist – der Herstellung von Stollen und „Kenkentüjch“. Beim Backen dieses Gestalten- oder Gebildegebäcks greift er auf alte, überlieferte Rezepte zurück und benutzt zum Ausstechen des Gebäcks Formen seiner Vorfahren.

Zusammen mit roten Äpfeln, Backpflaumen und Rosinenketten schmückt das Gebildegebäck in der Weihnachtszeit den „Kenken-buum“, was wörtlich übersetzt Christkind-Baum heißt. Obwohl der ursprüngliche Grund für diese schlichte, aber schöne Art des Weihnachtsbaumes auf Föhr und Amrum inzwischen weggefallen ist, sieht man auch heute noch – oder besser: wieder – viele dieser „Kenkenbuums“ während der Weihnachtszeit in den Fenstern der Inselhäuser stehen.

Aus der Not hat man jetzt eine Tugend gemacht und zeigt damit Traditionsbewußtsein und Naturverbundenheit zugleich. Ursprünglich hatten die Friesen auf den baumlosen Inseln nämlich gar keine andere Wahl: Der „Import“ von Tannen war Mitte des 19. Jahrhunderts, als auf dem Festland der Weihnachtsbaum modern wurde, sehr teuer und mitunter auch gar nicht möglich. In strengen Wintern mit Eisgang war die Verbindung zum Festland abgeschnitten, und so griff man auf den hölzernen Weihnachtsbaum zurück, den man mit Bordmitteln selbst bauen konnte.

Besenstil und Strandholz für die Standholzbohle waren immer zu finden, und das ein-

fache Holzge rüst wurde mit Krähenbeeren, Buchs baum oder Efeu umwickelt. Wenn früher geschickte Hände ihn noch mit einer gebogenen Weidenrute umgaben, war das schon eine bewunderte Seltenheit, berichten die Chronisten. Zuckerwerk war nicht üblich, und anstatt Lametta und Glitzerkugeln wurde selbstgefertigtes Gestaltengebäck in den „Kenken buum“ gehängt.

Zum Glück hat der Amrumer Bäcker Clausen die uralten Backformen seiner Urgroßeltern nicht im Zuge der Modernisierungswelle zu Beginn des Wirtschaftswunders entsorgt, wie es viele seiner Zunftkollegen taten. So kann er heute wieder Originalfiguren ausstechen, die nach der Überlieferung einerseits mit dem Broterwerb der Vorfahren zu tun haben (Mühle, Segelschiff, Fische) und andererseits im eigentlichen Sinne heidnische Opferbrote darstellten: Das Pferd deutete hin auf Wodan, Hahn und Bock auf Donar und das Schwein auf die Göttin Freya.

Am Fuße des Stammes sind jedoch Adam und Eva unter dem Paradiesbaum zu bewundern. Symbole von Christentum und Heidenzeit stehen so zu Weihnachten ganz friedlich beieinander. Das ist auch nicht verwunderlich, legte doch die Kirche das Fest von Christi Geburt just in die Zeit der Wintersonnenwende, welches zu heidnischer Zeit als Juel-Fest um den Jahreswechsel gefeiert wurde und sich noch heute im Brauchtum auf den Inseln wiederfindet.

Wenn rechtzeitig zu Weihnachten das schlichte Holzgerüst von den Insulanern aus dem Sommerschlaf geholt wird und mit Grünzeug und dem recht harten und mit Rotebeetesaft bemalten Kenkentüjch geschmückt wird, ist alles fürs Fest vorbereitet.

Margret Kiosz, dpa

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