Erst linke Szene, dann jüdische Gemeinschaft

■ Micha Brumlik beschreibt, wie er, ein Jude der 68er-Generation, sein Leben in Deutschland sieht. Und wie er vom glühenden Zionisten zum Antizionisten wurde

Erinnerungen von „Personen des öffentlichen Lebens“ versprechen einen Blick hinter die Kulissen. Die Aufzeichnungen von Micha Brumlik etwa, dem prominenten Frankfurter Linken und Juden, könnten Aufschluß geben über sein Zerwürfnis mit den Grünen während des Golfkriegs. Doch die Suche in den Aufzeichnungen des 68ers ist nicht sehr ergiebig. Gewinnbringender läßt sich „Kein Weg als Deutscher und Jude“ als ein Abschied von der Linken lesen.

Micha Brumlik wird 1947 in der Schweiz als Sohn von jüdischen Eltern geboren, die aus Frankfurt am Main und Gießen vor den Nationalsozialisten geflohen sind. 1952 ziehen Brumliks zurück nach Frankfurt am Main. Der Gymnasiast Micha wird Mitglied in der „Zionistischen Jugend in Deutschland“, deren Mitglieder schwören, als Erwachsene nach Israel auszuwandern. Das tut er auch. Als Brumlik dort 1967 erfährt, daß den Arabern das Land auch mit allen Tricks abgenommen wird, bricht eine Welt für ihn zusammen.

Der glühende Zionist wird zum ebenso glühenden Antizionisten, tritt für einen gemeinsamen Staat von Palästinensern und Israelis ein und erkennt, daß er „ein Teil der deutschen Gesellschaft“ ist. 1969 kehrt Brumlik nach Deutschland zurück, studiert und engagiert sich in der linken Szene. Anderen Juden erscheint der Antizionist nun als verkappter Antisemit. Nicht immer kann sich Brumlik selbst von dem Verdacht freisprechen, zumal ihn sein jüdischer Antizionismus mit der internationalistischen Linken zusammenführt, deren Antizionismus, so Brumlik, antisemitisch sei. Als die Linke in den 80ern zerfällt, setzt sich Brumlik, inzwischen Professor für Erziehungswissenschaft, intensiv mit der Shoah auseinander. Dies und die Auseinandersetzungen um das Fassbinder-Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ bringen ihn 1985 der Jüdischen Gemeinde Frankfurts näher. Brumlik steht innerlich an ihrer Seite, weil die Verteidiger des Stücks und der Meinungsfreiheit einen „kulturellen Antisemitismus“ pflegten: Sie verallgemeinerten Aussagen über einzelne Juden und präsentierten Offenkundiges so, „als handele es sich um finsteren Zusammenhängen mühsam abgerungene, hochgefährliche Wahrheiten“. Brumlik bemüht sich nicht, diesen fundamentalen Baustein seiner „Hermeneutik des Verdachts“ zu erläutern.

Die taz, von Brumlik zustimmend zitiert, nannte die Bühnenbesetzung von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde ihr „Coming out“. Das war sie wohl auch für den einstigen Antizionisten. Nun tritt bei Brumlik an die Stelle der linken Szene die jüdische Gemeinschaft, an die Stelle der universalistischen Moral das, was Juden „innerlich bewegt“. Diese nicht weiter definierte Kategorie steht offenbar für einen Konsens in der Jüdischen Gemeinde Frankfurts. So erklärt sich Brumliks Parteiaustritt aus Empörung über die pazifistische Haltung der Grünen im Golfkrieg: Die Solidarität mit Israel ist für den einstigen Antizionisten der Prüfstein politischen Handelns geworden – ebenso wie für die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde.

Keine dieser Schlußfolgerungen legt Brumlik nahe. Er schreibt sich in einem bürokratischen Deutsch durch die Jahre, verzichtet meist darauf, seine Entwicklung zu reflektieren und die Positionen der politischen Gegner zu konturieren; selbst seine gegenwärtigen politischen Vorstellungen benennt er nur knapp als „Reformjudentum“. Mehr Analyse hätte man von Brumlik schon erwarten dürfen. Dann wären die Aufzeichnungen als Teilgeschichte der westdeutschen Linken lesbar gewesen. So sind sie nur ihr Abgesang. Jörg Plath

Micha Brumlik, „Kein Weg als Deutscher und Jude“, Luchterhand, Mchn. 1996, 208 S., 32 Mark