Ein Handschlag mit wenig Folgen

Drei Bücher zum Friedensprozeß im Nahen Osten kommen – trotz unterschiedlicher Positionen – zum gleichen Ergebnis: Die Konflikte zwischen Israel und Palästina werden nicht gelöst  ■ Von Ludwig Watzal

Der Friedensprozeß in Israel und Palästina geht mit Benjamin Netanjahu noch langsamer voran als unter der Peres-Regierung. Netanjahus chauvinistisch-religiös/fundamentalistische Regierung will Teile der Abkommen, die die Rabin-Regierung mit Arafat abgeschlossen hat, neu verhandeln. Am Hebron, wo 450 jüdisch-extremistische Siedler leben, scheiden sich die Geister. Die Sicherheit dieser religiösen Fundamentalisten sei nicht gewährleistet, so der Einwand der neuen Regierung.

Daß der Nahe Osten nach wie vor zu den Krisenregionen der internationalen Politik gehört, zeigt sich in der Fülle der Publikationen, die im Monatsabstand erscheinen. Drei seien hier ausgewählt. Victor Kocher, Nahost-Korrespondent der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) in Syrien, gibt einen umfassenden Überblick über die Kräftekonstellation in der Region und beschreibt die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konfliktes sowie der Nahost-Verhandlungen. Abgerundet wird sein Buch durch einen umfangreichen Anhang, in dem die Schlüsseldokumente des nahöstlichen Friedensprozesses in Auszügen dokumentiert sind.

Felicia Langer, israelische Rechtsanwältin und in Tübingen lebend, hat den Friedensprozeß einer schonungslosen Analyse unterzogen. Pointiert weist sie auf die Schwachstellen der bilateralen Abkommen hin und zeigt Aspekte der israelischen Innenpolitik auf, die so in Deutschland nicht bekannt sind.

Der Journalist Thomas M. Krapf hat eine Sammlung von „Aufzeichnungen“ vorgelegt, die seit 1989 entstanden sind und bis Februar 1996 reichen. Diese Texte wurden leider „nicht verändert ..., um die historische Situation zu dokumentieren“. Deshalb finden sich auch in den Texten viele irrelevant gewordene Passagen, kein besonderes Lesevergnügen. Angereichert wurden seine zehn Impressionen durch Interviews mit israelischen Politikern und Intellektuellen. Brauchbar ist es einzig wegen der sehr detaillierten Chronologie des israelisch-arabischen Konflikts.

Ganz im Gegensatz zu Thomas Krapf geht Victor Kocher völlig unbefangen mit dem Nahostkonflikt um. Seines Erachtens haben die Palästinenser völlig das gewaltige Potential unterschätzt, „welches den Bau einer Heimstatt für die Juden vorantreibt“, nämlich die jüdische Diaspora und die westlichen Großmächte. Die arabische Welt habe sich bis ins 20. Jahrhundert hinein mit sich selbst beschäftigt und martialische Forderungen gestellt. Sie waren es auch, die der palästinensischen Sache schadeten. „Vierzig Jahre später erkennt endlich der PLO-Chef Jassir Arafat, daß der Gewaltlose, mit Argumenten anstatt Kalaschnikows gerüstete Araber, der einzig erfolgreiche Gegner Israels ist.“ Erst die Ereignisse in der Sowjetunion und der Krieg um Kuwait haben bei den Regionalmächten des Nahen Ostens einen Umdenkungsprozeß in Gang gesetzt, dem sich niemand entziehen konnte. Die Anerkennung des Existenzrechts Israels war unumgänglich geworden.

Kochers despektierliche Meinung über Gerechtigkeit und das Völkerrecht in diesem Konflikt verdient jedoch Widerspruch, wenn er schreibt, daß sich immer die unterlegene Seite an den „Richtwert der Gerechtigkeit“ klammere. Denn erst wenn die Kinder der heutigen Abkommen nach diesen Regelungen leben können, ist die Frage nach Gerechtigkeit nicht mehr so wichtig. Kocher, der die Abkommen kennt und sie realistisch bewertet, müßte wissen, daß diese Verträge nicht den Frieden garantieren können, da sie zutiefst ungerecht sind. Der Autor weist selber auf die zahlreichen Schwachstellen der Abkommen hin. So schreibt er über die Haltung Rabins zu einem möglichen Palästinenserstaat: „Bis zu seinem Tod im November 1995 unternahm er allerdings alles Erdenkliche, um dem vorzubauen.“ Wer heute alle Schwierigkeiten auf die Netanjahu-Regierung abwälzen will, darf nicht vergessen, daß Rabin und Peres die Verträge aushandelten. Kocher zeigt ebenfalls, daß Israel seine Friedensdividende üppig eingefahren hat, wohingegen das Ergebnis für die Palästinenser eher mager ist. So fragt er zu Recht, ob Arafat „der Keimzelle eines Palästinenserstaats“ vorsitze oder bloß einen „Polizeiapparat“ kommandiere, der das „Unabhängigkeitsstreben auch noch aus den letzten Palästinensern herausprügeln soll“. Als Resümee der interessanten Schilderung fragt Kocher, ob der „sogenannte Friedensprozeß“ doch nichts anderes sei als die Fortsetzung des Konflikts mit anderen Mitteln.

Für die streitbare Rechtsanwältin Felicia Langer ist das Ergebnis von Oslo ganz klar: „Wer behauptet, daß Oslo den Weg bereitet hat für den Frieden, hat unrecht. Oslo war nichts als ein riesiges Täuschungsmanöver.“ Im Gegensatz zu Kocher hält Langer das Völkerrecht hoch: „Das Völkerrecht fordert eine Beendigung der Besetzung und eine Räumung der besetzten Territorien.“ Langers Pessimismus ist wohl begründet. Israel hat auf kein Essential verzichtet, das den Palästinensern „heilig“ ist, wie zum Beispiel die Siedlungen, Jerusalem, das Selbstbestimmungsrecht und die Eigenstaatlichkeit, das Rückkehrrecht der Flüchtlinge, Wasserfragen, Festlegung der Grenzen, Entschädigungen u.v.m. Vor Ort änderte sich ebenfalls wenig. „Die israelische Besatzermoral hat nach wie vor die Oberhand. Doch zum ersten Mal wurde sie von den Palästinensern legitimiert.“ Unverändert sind die Verletzungen der Menschenrechte der Palästinenser durch Israel. Hinzugekommen sind aber noch die Menschenrechtsverstöße der palästinensischen Behörden an eigenen Landsleuten, wie das Beispiel Eyad al-Sarraj zeigt.

Felicia Langer hat über 20 Jahre Palästinenser vor israelischen Gerichten vertreten. Folgerichtig verlangt sie, „daß die Folterer für ihre Taten vor Gericht gestellt werden, denn das fordert die Gerechtigkeit. Nur so ist es möglich, eine wahre Versöhnung zu erreichen.“ Das folgende Zitat zeigt, daß man in den Folterungen auch einen Segen sehen kann. Schimon Peres erklärte gegenüber Gai Bechor von Ha'aretz vom 26. Oktober 1995: „Es gibt heute eine junge Generation, 125.000 junge Araber, die die Gefängnisse Israels durchlaufen haben, Hebräisch gelernt haben, gelernt haben, was Demokratie ist, und in dieser Hinsicht dienten die Gefängnisse als große Universität. In Gaza ist eine Friedensbewegung entstanden, deren sämtliche Mitglieder ehemalige Häftlinge sind. Israel wird alles tun, um ihnen zu ermöglichen, eine demokratische Gesellschaft zu werden.“ Wer zahlreiche Argumente gegen den „Friedensprozeß“ sucht, wird sie bei Felicia Langer finden.

Thomas M. Krapf geht nicht so sehr auf die aktuelle Lage ein, sondern beschäftigt sich vorwiegend mit den Problemen der israelischen Identität, die in dem Begriff „Vernichtung“ kulminieren. So taucht er tief in die israelische Psyche ein, die durch historische Ereignisse wie Masada oder die Shoa geprägt ist. Er versucht, viele der israelischen Verhaltensweisen daraus zu erklären und zu rechtfertigen. „Die Erfahrung der Shoa ist weltweit zu einem integralen Bestandteil der kollektiven Identität des jüdischen Volkes geworden.“ Durch seine starke Identifizierung mit Israel verliert Krapf aber die journalistische Distanz. So schreibt er über die zögerliche Haltung Rabins beim Handschlag mit Arafat über letzteren: „Diesem trieft das Blut ungezählter israelischer Terrorismusopfer geradezu sichtbar von den Händen.“ Klebte und klebt an den Händen von Begin, Schamir, Rabin, Scharon, Eitan und zahllosen israelischen Militärs kein Blut? Insbesondere für das israelische Sicherheitsinteresse zeigt Krapf volles Verständnis.

Krapfs Sympathien liegen klar auf der Seite der Arbeitspartei. Ideologisch steht er der Bewegung „Oz veShalom“ (Religiöse Zionisten für Stärke und Frieden) nahe. Diese Gruppe vertritt die Ansicht, daß Israel die Besetzung der Gebiete weder gesellschaftlich, religiös noch ethisch verkraften könne. Es komme auf die Achtung der menschlichen Würde und eine Gesellschaft an, in der alle Menschen zu ihrem Recht kommen können. Völlig ausgeblendet wird bei Krapf hingegen die Diskussion um den „Postzionismus“ und die Rolle der „neuen Historiker“, die gerade viele Mythen der zionistischen Ideologie in Frage stellen.

Die drei Bücher stehen für verschiedene Richtungen, wie man mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt umgehen kann. Aber in allen wird deutlich, daß der sogenannte Friedensprozeß die Probleme nicht gelöst, sondern den Konflikt nur auf eine andere Stufe gehoben hat. Er war ein voller Erfolg Israels, weil er den Konflikt von der internationalen auf eine bilaterale Bühne herabgestuft hat und dort die Palästinenser der schwächere Partner sind. Somit wird die internationale Staatengemeinschaft noch länger mit Israel/Palästina beschäftigt sein, als ihr lieb ist.

Victor Kocher, „Der neue Nahe Osten. Die arabische Welt im Friedensprozeß“, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1996, 200 Seiten, 44 DM

Felicia Langer, „Laßt uns wie Menschen leben. Schein und Wirklichkeit in Palästina“, Lamuv, Göttingen 1996, 207 S., 32 DM

Thomas M. Krapf, „Israel zwischen Krieg und Frieden“, Bleicher Verlag, Gerlingen 1996, 295 Seiten, 29,80 DM