„Ökologisch, solidarisch, libertär“

■ Die ehemalige Vorstandssprecherin Krista Sager plädiert für eine Debatte um ein neues Grundsatzprogramm bei den Bündnisgrünen

taz: Sie haben ein neues Grundsatzprogramm für die Bündnisgrünen gefordert, wo andere schon an den Wahlkampf denken. Kommt die Forderung nicht zur Unzeit?

Krista Sager: Wenn wir sagen, wir wollen ein Grundsatzprogramm bis zum Jahr 2000 oder 2002, dann müssen wir jetzt wissen, wie wir diese Debatte angehen wollen. Wir brauchen einen Prozeß der permanenten Selbstreflexion, über das Tagesgeschäft hinaus. So stellt sich bei der Auseinandersetzung um die Neuverteilung von Arbeit doch auch die Frage nach der Lebensqualität, nach einem Gesellschaftsvertrag neu. Was ist Wohlstand? Wie wird er produziert? Was passiert mit den alten Menschen? Das, was die Gesellschaft bewegt, daß muß auch bei uns stärker zum Thema werden.

Das bisherige Grundsatzprogramm läßt sich auf die Formel bringen: „Ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei.“ Was bleibt davon übrig?

Raschke hat gesagt: „Ökologisch, solidarisch, libertär.“

Das ist die neue Parole?

Das wäre eine Parole. Mir ginge es allerdings eher um den Diskussionsprozeß. Der sollte sich Fragen widmen wie der nach dem Staatsverständnis. Was soll der Staat leisten, was nicht?. Wie ist unser Verhältnis zum Wachstum?

Bei den Bündnisgrünen besteht anscheinend keine große Neigung, sich dem Programmatischen zu widmen.

Gegen die Idee eines Grundsatzprogramms gab es Vorbehalte, weil sie mit dem Revisionismusverdacht behaftet ist. Es gibt Leute, die haben ihre Weisheit wie eine gute Flasche Wein im Schrank stehen, die sie sich für ihren politischen Feierabend aufheben...

... und den wollen sie jetzt sauer werden lassen.

Natürlich muß man jetzt, nach bald zwanzig Jahren, mal nachschauen, ob er nicht vielleicht schon sauer, zu Essigwasser geworden ist.

Gilt das auch für den Pazifismus? Diese Position neu zu formulieren, würde an das Selbstverstädnis vieler Bündnisgrüner rühren.

Diese Debatte ist doch auch schon ausgelutscht. Der Trend geht doch eindeutig in Richtung eines pazifistischen Pragmatismus, der auch akzeptiert, daß es im Rahmen internationaler Konfliktregulierung ein Gewaltpotential als Ultima ratio gegenüber Agressoren geben muß. Das hat sich doch auch in den aktuellen Anträgen der Parteilinken widergespiegelt.

Bei soviel Konsens stellt sich die Frage: Haben die Strömungen, die Realos und die Linken, nicht mittlerweile als Treibriemen der inhaltlichen Entwicklung ausgedient?

Das ist schwer zu sagen. Im Moment spielen die Strömungen sicherlich noch eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, Konfliktfelder zu benennen und Handlungsfähigkeit herzustellen...

... um zu kungeln und Mehrheiten zu organisieren?

So einfach ist das nicht mehr. Keiner kann heute noch die Delegierten steuern.

Wozu also noch Strömungen?

Es hat sich natürlich dort auch schon etwas verselbstständigt, was mit politischen Positionen nichts mehr zu tun hat. Da geht es sehr viel um Seilschaften und Grüppchenklüngel. Es ist allerdings illusorisch, sie deshalb abschaffen zu wollen. In jeder Partei gibt es Strömungen.

Bislang haben sich die Parteilinken gegen eine Grundsatzdebatte gesträubt.

Das hat sich geändert. Mittlerweile wird dort ebenfalls die Notwendigkeit einer Programmdebatte gesehen. Interview: Dieter Rulff