Trinken hinter Gardinen?

■ Bremer Suchtkrankenhilfeplan gegen Alkohol- und Medikamentensucht

Vier Stunden täglich ist Streetworker Jonas Totd'Or im Auftrag der Inneren Mission im Gröpelinger Grünzug West unterwegs. Rund 20 „Alkies“ haben dort ihre Treffpunkte und sorgen seit 10 Jahren für viel Streit im Stadtteil. Ein Jahr lang will Totd'Or nun Kaffee bringen, reden, Kontakte herstellen – das Projekt „Grünzug West“ ist der aktuellste Versuch der Suchthilfe in Bremen und nennt sich „aufsuchende Brennpunktarbeit“.

„Grünzug West“ geht konform mit den Forderungen des neuen Suchtkrankenhilfeplans für die Stadtgemeinde Bremen. Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) stellte das 60-Seiten-Werk gestern als Fortsetzung des Drogenhilfeplans von 1993 vor. Das Ziel ist das gleiche: Die Vernetzung und gegenseitige Integration der Hilfsangebote, die Aufhebung der Unterscheidung von illegalen und legalen Drogen. Neu ist der Focus auf Medikamenten- und Alkoholsucht.

Der Blick auf gesellschaftliche Wirklichkeiten ist dabei angesagt, und diese machen auch vor Bremen nicht halt. Zum Beispiel im Bereich Alkohol: 14.000 bis 22.000 „behandlungsbedürftige alkoholabhängige BremerInnen“ soll es geben, wenn die Grundschätzung der Expertenkommission der Bundesregierung auf Bremer Größe heruntergerechnet wird. Davon sind rund 2.800 „chronisch mehrfach geschädigt alkoholkrank“. Und ein „schädlicher Konsum“ beginne bei Frauen bereits ab 20 Gramm reinen Alkohols (Männer ab 40 Gramm). Die 20-Gramm-Sünde wird entsprechend ab zwei 0,3-Gläsern Bier oder einem 0,2-Glas Wein begangen.

„Beträchtliches“ an effektiven Gegenmaßnahmen bei Alkoholmißbrauch habe Bremen nun bereits vorzuweisen, so die Sozialsenatorin. Sie sprach als Bestandsaufnahme eine Gesamtförderung von rund 10 Millionen Mark im Jahr an und zitierte: Präventionsarbeit für Jugendliche in den Schulen, ein gut ausgebauter Selbsthilfeverbund (150 Gruppen, die jährlich mit 85.000 Mark unterstützt werden), Arbeits- und Beschäftigungsprojekte, stationäre Suchtkrankenversorgung im Zentralkrankenhaus Ost und der Klinik Dr. Heines.

Doch der neue Plan will auch Defizite aufzeigen, Anregungen geben und eine Richtung vorweisen: Jonas Totd'Or holt die Leute im Grünzug West bereits dort ab, wo sie sind. Bei den vielen, die zu Hause hinter zugezogenen Gardinen trinken oder auch Medikamente schlucken, ist dies schwieriger. Eine Kooperation mit der Ärztekammer ist angeleitet – vor allem niedergelassene ÄrztInnen sollen den in Lübeck entwickelten „Alkoholismus-Screening-Test“ lernen, um einschlägige Indikatoren schneller zu erkennen.

Aber auch ausländische MitarbeiterInnen sind in der Bremer Suchthilfe gefragt. Es gibt außerdem kein Projekt, daß sich speziell um Jugendliche mit Alkoholproblemen kümmert. Das Angebot an Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten für Frauen mit Kindern ist sehr mager. Bremen braucht zudem mehr „nasse Wohngemeinschaften“, denn Menschen, die häufig rückfällig werden, sind in Abstinenz-WGs nicht zu integrieren.

Öffentliche Diskussionen erhofft sich die Senatorin durch den Suchtkrankenhilfeplan, den sie nun den Bremer Deputierten vorlegen wird. Politischer Wille ist gefragt – wenn die Krankenkassen im Zuge der Gesundheitsreform sogenannte „Linderungsmaßnahmen“ nicht mehr bezahlen und sich auch die Rentenversicherungsträger nicht in die Pflicht nehmen lassen, dann fallen die Kosten für diese Angebote auf die Kommunen zurück. sip