Von wegen Friedhofsruhe

■ Enno Hansing, Landwirt und Autor aus Nordenham, suchte nach der Wahrheit auf den Grabsteinen – und fand sie bei den Katholiken in Süddeutschland

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amit hat Enno Hansing, Landwirt aus Nordenham, nicht gerechnet: Daß sein Buch vier Wochen nach Erscheinen bereits in die dritte Auflage geht, erstaunt ihn dann doch. „Hier liegen meine Gebeine, ich wollt' es wären Deine“ – so lautet der Titel des Buches, das 360 skurrile Grabsteininschriften aus dem deutschsprachigen Raum vereint.

Was für die ewige Ruhe gedacht war, hat sich zum flotten Renner gemausert. Die Sammlung von Grabsprüchen, vom braven Bauersmann zusammengetragen, findet bundesweit reißenden Absatz. Und so klingelt bei Enno Hansing andauernd das Telefon, weil ihn ein Sender in eine Talkshow einladen will, weil ihm jemand gratulieren oder neue Anregungen geben will. „Schalt das Ding doch einfach aus“, rät daher die um seine Gesundheit besorgte Ehefrau.

So zugeneigt sind offensichtlich nicht alle Frauen ihrem Mann: „Hier rauht min lewe gode Mann, He hett sin Lew'nix anners dahn“, hinterläßt eine wackere Dame der Welt der Lebenden, was sie von ihrem Gatten hielt. Noch giftiger der Strahl der späten Rache, die ein Mann seiner Gattin ins Grab speiht: „Hier liegt mein Weib, Gott sei's gedankt, bis in das Grab hat sie gezankt. Lauf, lieber Leser schnell von hier, sonst steht sie auf und rauft mit dir.“ Da weiß man doch gleich, was los war. Ohne viele Worte wird eine ganze Geschichte erzählt, werden Gefühle geweckt, wird etwas lebendig, wo es um den Tod geht. Daß der zuweilen für die Hinterbliebenen eine Erlösung ist, wird nur selten öffentlich zugegeben.

„Für mich ist ein Friedhof ein Urkundenbuch“, schwärmt denn auch Enno Hansing, „das ist Geschichte in Stein und Eisen.“ Das Interesse dafür hat er quasi geerbt. Seit vier Generationen betreiben die Hansings Familienforschung. Mit so einem Hobby verbringt man ohnehin viel Zeit am Rande letzter Ruhestätten. Dabei stieß der „Familienkundler“ Enno Hansing nicht allein auf die Hinterlassenschaften ahnungsloser Ahnen:

1972 geriet er zufällig auf einen österreichischen Museumsfriedhof und entdeckte eine Sammlung von Grabkreuzen aus dem kernigen Südtirol, dem österreichischen und bayerischen Alpenraum. Gesammelt von einem Kunstschlosser, der ebenso wie der Bauer aus dem Norden fasziniert ist von den tiefen Abgründen der Gefühle, die sich am Grabe auf- und eben zuweilen auch kundtun.

„Hier von dieser steilen Wand, stürzte ab ein Musikant. Oben blus er die Trompeten, unten ging er leider flöten“, heißt es auf einer dieser Tafeln. Ein Abschied ohne barocke Schnörkel, offensichtlich fand man sich ab mit dem Tod des anonymen Musikus. In anderen Fällen wurde regelrecht abgerechnet: „Hier ruht der Gastwirt Morgenroth, an dessen Tisch man schlecht gegessen; jetzt ist er selber table d–hote, an der die Würmer besser essen.“

Aussagen wie diese beweisen: Die Wahrheit ist immer kraftvoll. Doch wer wagt es schon, sie auszusprechen. Selbst im Leben wird die Hand vor solcherlei Nachsage gelegt, und über Tote soll man nicht schlecht reden, heißt es. „Bei uns wären solche Grabsprüche nicht möglich“, versichert Enno Hansing. „Da ist die Friedhofsordnung vor.“ Das weiß er sogar aus eigener Erfahrung: Vor wenigen Jahren mußte er eine Tante in Nordenham beerdigen lassen. Dabei erklärte man ihm, daß ein Grabstein zunächst als Entwurf auf Papier vorzulegen sei, mit Angabe von Größe, Material, Aufschrift und Dekor. Sind alle Vorschriften eingehalten, erteilt eine Kommission die Genehmigung. Als Hansing das hörte, war für ihn klar: „Die lassen mich mit dem Grabstein gar nicht auf den Friedhof drauf“, und ließ ab von seinem Unterfangen.

„Die Friedhöfe sind hier doch reine Marmorwüsten“, schimpft er. Im Gegensatz dazu stellt er fest, daß die Menschen ein reges Interesse haben an jenen deftigen Grabsprüchen, die im Süden viel häufiger vorkommen als im kalten Norden. „Südlich der Mainlinie“, erklärt der Heimatkundler dieses Phänomen, „ist der Katholizismus weiter verbreitet.“ Reine Glaubenssache also? Nein, Tradition und Landschaft halfen nach: Wenn hierzulande jemand stirbt, wird sofort der Priester geholt. Wenn aber jemand in den Bergen verunglückt, etwa vom Ochsenkarren überrollt wird oder in den Abgrund stürzt, sei das so einfach nicht machbar, stellt Hansing klar. An derart unzugänglichen Orten wurden daher schon vor Jahrhunderten Marteln aufgestellt, Tafeln oder Steine, mit denen man der armen Tropfe gedachte, die da ihren letzten Schnaufer taten.

Diese Tradition wirkt bis heute fort. Daß die Marteln Mitte der 60er Jahre verboten werden sollten, ist dem Heimatkundler gänzlich unverständlich, und er ist froh, daß der Versuch am Widerstand heimischer Trachtenvereine scheiterte. „Diese Grabsteine sind doch für die Touristik eine Augenweide.“ Die Resonanz auf seine Veröffentlichung scheint ihm recht zu geben. Beinahe täglich erhält der inzwischen bundesweit bekannte Sammler Post mit Sprüchen, die von den Briefabsendern auf Grabsteinen entdeckt wurden. Und eine kleine Umfrage der taz bei Steinmetzen und Beerdigungsinstituten ergab: Alle kennen bereits das Buch von Enno Hansing, alle hatten sich amüsiert und wünschen sich mehr Vielfalt auch auf unseren Friedhöfen. Selbst der Mitarbeiter des Beerdigungsunternehmens mit dem mahnenden Namen „Pietät“ fühlte sich nicht peinlich berührt. Hier aber sei man gemeinhin zurückhaltender, sagt er. Ein Kosename sei das Persönlichste, was ein Kunde auf einen Grabstein brachte. „Den meisten fehlt der Schneid, sich eventuell öffentlich zu blamieren“.

Doch nicht nur Derbes liest man in dem Hansing-Buch. Es kommt auch die Romantik vor, die Sehnsucht nach dem Verblichenen, die auf die letzte Schippe Sand gehäufte Liebe. In jedem Fall bietet die Sammlung vielerlei Anregungen fürs eigene Ende und sollte demzufolge in keinem Haushalt fehlen. Einer der wenigen Ratgeber von hohem Wert. Oder wissen Sie schon, mit welchen Worten Sie der Lieben, die jetzt noch unterm Weihnachtsbaum versammelt sind, nach ihrem Ableben gedenken?

Dora Hartmann

Das Buch ist im Bremer Verlag Peter Kurze erschienen und kostet 24,80 Mark