: Der Tod und andere Kleinigkeiten
Sie reden und reden und reden – bis zum Ende und darüber hinaus: Bernd Mottls gelungene Inszenierung „Central Park West“ mit drei Einaktern aus New York im Freien Schauspiel Neukölln ■ Von Axel Schock
Der eine quasselt über sein Leben nach dem Tod und landet dann doch im Fegefeuer. Der andere redet, um Leben zu retten – und wird damit unfreiwillig zum Killer. Zu guter Letzt sprechen fünf Personen annähernd gleichzeitig, um irgendwie ein gemeinsames Leben auf die Reihe zu bekommen. Nur über die Paarkonstellationen ist man sich noch nicht so recht einig: Drei Einakter, die nichts gemein haben, außer, daß es in allen auf mehr oder wenige existentielle Weise ums Reden und Kommunizieren geht – und um den Tod.
In David Mamets „Das Verhör“ ist der Tod schon passiert, in „Hotline“ von Elaine May wird er mit einer Handvoll Tabletten herbeigeführt; im titelgebenden „Central Park West“ von Woody Allen ist die Kugel aus der Pistole nur beinahe tödlich: sie trifft den Hintern und nicht etwa das Herz.
Das Freie Schauspiel hat sich die deutschsprachige Erstaufführung von „Death Defying Acts“ gesichert, das seit 1995 am Off- Broadway für ein volles Haus sorgt. Und soviel sei vorausgeschickt: Auch wenn man, anders als in New York, in der Pflügerstraße nicht mit Theaterlegenden wie Debra Monk und Linda Lavin aufwarten kann, diese Produktion wird es leicht haben, sein Publikum zu finden.
Der erste Einakter ist der kürzeste und inhaltlich schwächste. David Mamet kümmert sich um sein ureigenstes Thema: Der US-amerikanische Mann, der für geschäftlichen Erfolg auch über Leichen geht. Ein Anwalt monologisiert über die Gaunereien seines Gewerbes. Geschäft ist Geschäft, und der Zweck (Geld) heiligt alle Mittel (Betrug). Die Moral ist kurz, das Stück wie ein mäßiges Mamet- Plagiat mit einem Schuß Pinter.
Regisseur Bernd Mottl, der bereits für die Studiobühne der FU einige bemerkenswerte Inszenierungen besorgt hat, stärkt die dünne dramatische Substanz mit szenischem Effekt. Das Publikum wird eine steile Treppe hinunter in die Katakomben des Theaters geführt und sitzt unangenehm nah um einen Sarg herum. Da liegt der Anwalt im Leichenhemd und tut, was er in seinem Beruf gelernt hat: haarspalterische Reden zu schwingen und in eine rhetorische Endlosspirale zu gelangen, die die Logik irgendwann völlig aufgibt.
Dieser Anwalt, beklemmend selbstbewußt, redet sich in Rage und um sein Leben nach dem Tod, das längst verwirkt ist. Der Teufel, mit dem er Zwiesprache hält, ist ein Playboy-Häschen mit orthopädisch geschienten Beinen, das außer wenigen Zwischenbemerkungen nur als Anspielfläche agiert. Frank Schneider steigert sich bedrohlich in eine Raserei, daß die Adern an den Schläfen zu platzen drohen – und verliert dann doch. Am Ende rollt der Sarg in den lodernden Höllenschlund.
Einen Kellerraum nebenan hat Ken seinen ersten Arbeitstag als Telefonseelsorger beim Selbstmordzentrum. Ken ist ein lebendes Klischee des klassischen Sozialarbeiter; ausgestattet mit einem ordentlichen Helfersyndrom und selbst verkrampft bis in die Fußzehen. Nervös zippelt er sich am Hemd und an den Haaren und wird sich bis zum Ende dieses (etwas langgedehnten) Sketches von Elaine May als klassischer Psychopath entpuppen: ein Kabinettstück für den Schauspieler Maximilian Reiser. Währenddessen räkelt sich Dorothy (Stefanie Zobl) auf ihrem plüschigen Bett; Teil einer Wohnungseinrichtung, die Kitschplunder und Tristesse zu einem Gesamtkunstwerk des kleinen, verlorenen Lebens werden lassen (Bühne Petra Korink).
Die Tabletten sind schon zurechtgelegt. Mit Ken am anderen Ende der Telefonleitung hat sie ein williges Opfer gefunden. Sie, ein Schandmal erster Güte, weder sichtlich depressiv noch auffallend vom Schicksal gebeutelt, hat sich den Lebensretter in spe ausgeguckt zum Sündenbock. In einem furiosen Dialog wird er sich am Ende eingestehen müssen, Dorothy durch seine Dämlichkeit in den Tod getrieben zu haben. Sie hat ihren Seelenfrieden, und Ken braucht demnächst einen Psychiater.
Vielleicht Phyllis (Sybille Gabele). Die sitzt auf ihrer Dachterrasse (mit Breitwandblick auf die nächtliche Skyline von New York) und schmollt. In den nächsten 60 Minuten wird sich hier ein mehr und mehr verschachteltes dreifaches Ehedrama abspielen, bei dem am Ende ein Schuß in den Arsch trifft und mehrere Beziehungen endgültig in die Brüche gehen. Woody Allens „Central Park West“ ist der längste und ausgefeilteste dieser drei Einakter. Ein Allen-Instant, mit allen Zutaten, die es bei ihm gewohnheitsmäßig gibt: Der besagte Seelenklempner (hier weiblich und berufsbedingt wortgewaltig), ein erfolgloser Künstler, manisch-depressiv (hier gescheiterter Schriftsteller zu einem Leben als Unidozent verdammt), Ehen, die ihre besten Tage gesehen haben und dafür jede Menge Probleme mit dem häuslichen Sex aufwerfen. Woody Allen kontert jeden Satz mit einem zynischen, bösen und – (jetzt neu!) heftig zotigen Bonmots unterhalb der Gürtellinie. Ein Schlagabtausch, der erst verbal und dann mit Fäusten ausgetragen wird. Eine Ehefarce, die stetig sich in Richtung Comedy bewegt.
Bernd Mottl führt auch hier eine präzise Regie mit perfektem Timing. Die Figuren bewahrt er davor, zu Karikaturen zu verflachen und gibt ihnen kleine Ticks und Eigenheiten, die sie menschlich werden lassen und mit der notwendigen Tiefe versehen. Stets behält er sie im Auge, auch wenn sie gerade aus der Gefechtszone sind. Sie reden, streiten, schreien sich aus ihren bisherigen Beziehungen in ein neues Glück, – und das wird nicht anders aussehen als ihre bisherige kleine private Hölle.
Bis 2.2., Do–Mo, 20 Uhr, Freies Schauspiel, Pflügerstraße 3
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