piwik no script img

Vor großer Koalition

In Israel gibt es jenseits aller Parteigrenzen Befürworter einer „Regierung der nationalen Einheit“  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

In Israel mehren sich die Anzeichen für die Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“. Nur sechs Monate nach dem Amtsantritt von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gibt es ernsthafte Gespräche zwischen Persönlichkeiten der wichtigsten Parteien. Angesichts der internationalen Schwierigkeiten, die Netanjahu mit dem faktischen Einfrieren des gesamten Friedensprozesses in der Region hervorgerufen hat, fühlt sich Israel isoliert und „von der Welt verlassen“.

Aber nicht nur die Außenpolitik der Likud-Regierung hat negative Folgen. Israels wirtschaftliche Probleme, die zum Teil Ergebnis der Außenpolitik sind, haben im Verbund mit Nethanjahus thatcheristischen Tendenzen zu scharfen Auseinandersetzungen über den neuen Staatshaushalt 1997 geführt. Streit herrscht über die vom Finanzministerium vorgeschlagenen Steuererhöhungen bei gleichzeitiger Kürzung sozialer Leistungen.

Angesichts der Isolation der Regierung mehren sich auch auf seiten der Opposition die Stimmen, die den Eintritt in eine große Koalition mit dem Likud befürworten. Exministerpräsident Schimon Peres (74) sieht darin die Chance, den Osloer Friedensprozeß, den er selbst eingeleitet hat, zu retten und die Verhandlungen mit Syrien wiederzubeleben. Er weist auf frühere gemeinsame Regierungen mit dem Likud hin (1984 und 1988) und führt als konkreten Programmpunkt die Einstellung des Siedlungsbaus an.

Gleichzeitig gibt die Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ Peres die letzte Chance zur Verlängerung seiner politischen Karriere, die sonst im kommenden Jahr durch Wahl eines neuen Spitzenkandidaten definitiv enden würde. Als Peres-Nachfolger hat sich in der Arbeitspartei der ehemalige Stabschef und Falke Ehud Barak durchsetzen können.

Netanjahu zieht gegenwärtig eine Politik der „nationalen Einheit“ der Bildung einer großen Koalition mit der Arbeitspartei vor. Allerdings erklärt er nicht, wie angesichts des „Kulturkampfes“ zwischen religiösen und nichtreligiösen Teilen der Bevölkerung in Israel der erwünschte nationale Konsens für seine Politik hergestellt werden könnte.

Peres hatte in den vergangenen Tagen mindestens eine Unterredung mit dem Likud-Minister für Infrastruktur, Ariel Scharon. Scharon befürwortet eine große Koalition, um seinen Einfluß und seine Zukunft abzusichern.

Neben Scharon gibt es einige Likud-Minister wie Mosche Kazav und diverse Knesset-Abgeordnete, die sich öffentlich für die Teilnahme der Arbeitspartei an Netanjahus Koalition ausgesprochen haben. Unter den Koalitionspartnern des Likud ist es vor allem die orthodox-sefardische Shas-Partei, die sich für eine „breite nationale Regierung“ einsetzt. Die russische Einwandererpartei des Nathan Scharansky hat ebenfalls „nichts gegen“ die Kooption der Arbeitspartei in die Regierung.

Die links von der Arbeitspartei angesiedelten Fraktionen und Parteien nehmen eindeutig gegen die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit Stellung, weil sie der Meinung sind, daß die Beteiligung der Arbeitspartei an einer Koalition mit Netanjahu dessen rechtsorientierte, friedensfeindliche und antisoziale Politik schließlich nur festigen und legitimieren würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen