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■ Wahrheit-Klub: Vollmitglieder schreiben für VollmitgliederBrechtzeugungsfestakt

Als Mitglied im Wahrheit-Klub ist es meine Pflicht (,Ridentem dicere verum‘) folgende bemerkenswerte Vorkommnisse aus der Provinz mitzuteilen. Und zwar aus jenem öden, kulturlosen Teil der Provinz, über welchen schon Mitglied 000000020 (Frau Fischer) am 14. November in der taz schrieb: „Wenn der Schwabe nicht in seinem Auto fährt, sitzt er in demselben vor seinem Häusle und blickt von außen auf die geschlossenen Rolläden.“

Daselbst in Pfullingen nun meint man den Ursprung (Samenerguß, befleckte Empfängnis, etc.) der deutschen Dichter/Theater- Ikone Bert Brecht entdeckt zu haben. Hintergrund: Im Jahr 1998 feiert die literarische Welt Bertolt Brechts 100. Geburtstag. Was das heißt, ist bekannt: flächendeckend Lesungen, Diskussionen, Würdigungen, Fernsehberichte, Bücher und Sondervorstellungen in Theatern. Doch der Pfullinger ist clever und dem Brecht-Trubel einen Schritt voraus: Er begeht das Brechtjahr bereits 1997. Denn an der Echaz wird nicht das Geburts- sondern das Zeugungsjahr Brechts gefeiert. Schließlich wird begründet spekuliert, daß Brechts Eltern im Mai 1897 in Pfullingen nicht nur geheiratet, sondern ihn dort auch gezeugt haben.

Namhafte Brechtologen schweigen sich über Pfullingens Bedeutung für Brechts Biographie aus. Zu Unrecht, wie der inzwischen verstorbene Pfullinger Kunsthistoriker Dr. Rainer Hartmann bereits vor zehn Jahren nachgewiesen hat. Brechts Großvater war nicht nur Pfullingens erster Bahnhofsvorsteher, auch die Eltern des Klassikers der Weltliteratur heirateten hier in der Martinskirche. Gefeiert hat die Hochzeitsgesellschaft wahrscheinlich im Bahnhof, wo das frischvermählte Paar wohl auch übernachtet hat. Das war am 15. Mai 1897. Der Rest ist Algebra: Neun Monate später, am 10. Februar, erblickte Eugen Bertolt Brecht in Augsburg das Licht dieser Welt.

Für Professor Hermann Fischer von der Pädagogischen Hochschule in Weingarten ist daher klar, daß Brecht im Bahnhof gezeugt wurde. „Die Nichtbeachtung Pfullingens als literarische Gedenkstätte“, so der Wissenschaftler, „ist ignorant.“ Es gibt nicht einmal eine Bertolt-Brecht-Straße. Fischers provokative Frage: „Was ist wichtiger: das Haus der Zeugung oder das der Geburt?“ Für die Stadtbücherei Pfullingen und die Initiative für ein Kulturhaus in Pfullingen ist klar: Dieser für die Weltliteratur so eminent wichtige Zeugungsakt muß begangen werden. Die Vorbereitungen laufen, der Aktionskreis Brecht trifft sich das nächste Mal am 15. Januar um 20 Uhr in der Buchhandlung Fischmann (Pfullingen). In Vorbereitung sind Literaturworkshops, Ausstellungen, Schulaufführungen, Kleinkunstabende mit kulinarischem Beiprogramm (nach Originalrezepten von Brecht-Ehefrau Helene Weigel) etc. pp.

Wie heißt es so schön: Es gibt Schwarze, Weiße und Pfullinger! Jürgen Zimmerer

(Mitglied 0000000120)

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