Ein böses Märchen aus dem Kalten Krieg

Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Werner Schweizer über Noel Field: US-Patriot, Idealist, Kommunist und Hauptbelastungszeuge in den stalinistischen Schauprozessen der fünfziger Jahre in Ungarn und der Tschechoslowakei. Schweizers Dokumentarfilm „Der erfundene Spion“ ist heute abend bei arte zu sehen  ■ Von Stefan Reinecke

Am Anfang sieht man ein verwaschenes Bild. Ein Mann, eine Frau, irgendwo in Budapest, 1955. Von diesem Mann existierten lange Zeit keine Fotos. „Noel Field, der freundliche Amerikaner, der im Krieg Unzähligen das Leben rettet. Dann ein paar Jahre später. Noel Field – ein Name wie ein Fluch. Und wie ein Rätsel“, heißt es im Off-Kommentar. Wir verstehen: „Der erfundene Spion“ ist eine investigative Unternehmung, an deren Ende das Rätsel vielleicht gelöst sein wird.

In Fields Vita verdichteten sich die politischen Tragödien und weltanschaulichen Desaster seiner Zeit. Er war ein bürgerlicher Intellektueller, der sich, aus Idealismus, für den Kommunismus begeisterte, dem er später zum Opfer fiel.

Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte er den Widerstand gegen die Nazis. 1949 wurde er von der kommunistischen Geheimpolizei verhaftet und, als „Agent des US-Imperialismus“, zur Schlüsselfigur in den stalinistischen Schauprozessen aufgebaut. Und blieb, nachdem er diese Tortur überlebt hatte, doch parteitreuer Kommunist. Fields Geschichte war auch die einer verzweifelten, blinden Treue zu der Partei, die dem Quäkersohn wie eine säkularisierte Kirche erschien. Ein Leben wie ein Roman.

Werner Schweizers Dokumentation dieser Biographie heißt, mit gewissem Doppelsinn, „Der erfundene Spion“. Der US-Spion Field war eine Erfindung der stalinistischen Justiz, aber dieses Leben selbst scheint wie eine Erfindung, eine Fiktion zu sein: ein böses Märchen aus dem Kalten Krieg. Und eine Geschichte mit doppeltem Boden. Wenn Field den Stalinisten entkommen wäre, hätte ihn McCarthy wahrscheinlich in den USA als KP-Sympathisanten vor Gericht gestellt. Fields Freund aus den Dreißigern, Alger Hiss, US- Diplomat und das erste prominente Opfer der McCarthy-Ära, wurde am gleichen Tag aus dem US-Gefängnis entlassen, an dem Field in Budapest seinen Kerker verlassen durfte. Am 8. November 1954. Ironie der Geschichte.

Der Dokumentarist Werner Schweizer hat fünf Jahre lang recherchiert. Sein Film umkreist das Rätsel dieser Biographie in weiten Bögen. Der Anfang rekonstruiert aus Archivmaterial den Beginn des Kalten Krieges und den Fall Field mit Bildern aus Costa Gavras' Film über den Slansky-Prozeß „Das Geständnis“. Es folgen Aussagen der Beteiligten, die das Geschehen aus ihrer Perspektive subjektivieren.

Erst im letzten Drittel rückt Fields Biographie in den Fokus. Und man erkennt die Tragödie eines Mannes, der von Jugend an unter dem „starken Gefühl des Andersseins“ litt. Das schrieb er, im Budapester Kerker, in einer sechzigseitigen Lebensbeichte an das ZK der KPdSU. Der Fall Field ist nicht zuletzt die Geschichte einer Selbstdisziplinierung, des Versuches, die eigenen „femininen Neigungen“ zu beherrschen.

taz: Warum haben Sie sich für die Figur Noel Field interessiert? Aus historischen Gründen, kriminologisch-detektivischen, politischen?

Werner Schweizer: Es war vor allem ein politisch-autobiographisches Interesse. Ich bin in einer katholischen Missionsschule groß geworden, die sehr auf die Dritte Welt orientiert war. Daher rührt ein frühe Empfindsamkeit für Ungerechtigkeit. Daraus wurde später der radikale Wunsch, die Welt zu ändern, inklusive Kurierdienste für Guerillas in Lateinamerika. Das sind ähnliche Linien: Field kam aus einem pazifistischen Quäker-Elternhaus, später radikalisierte er sich durch die Sacco-und- Vanzetti-Affäre und den Spanischen Bürgerkrieg. Natürlich war meine politische Biographie viel bescheidener und undramatischer. Trotzdem existiert eine Ähnlichkeit.

Field wollte schon in den Dreißigern in die Schweizer KP aufgenommen werden. Aber die Partei sperrt sich: Amerikaner, Kosmopolit, Quäkerelternhaus – das war alles verdächtig.

Ich habe alle Häuser besucht, in denen er gelebt hat: während seiner Jugend in Zürich, seiner Zeit in den USA, in Spanien während des Bürgerkriegs, in Marseille, bis die Deutschen kamen, in Genf bis 1947 und später in Budapest. Und er hat immer an Orten gelebt, an denen man auf die Stadt heruntersehen konnte. Das war typisch für ihn – und das zeigt vielleicht, was ihn von der KP trennte. François Bondy sagt in dem Film, daß Field ein wasp war – ein Angehöriger der US-Oberschicht, sehr gebildet, sehr idealistisch. Seine Geschichte spiegelt insofern das Drama des bürgerlichen Intellektuellen, der seine Klasse verrät, aber in der kommunistischen Partei nie richtig ankommt, weil er über eine Weltläufigkeit und einen Habitus verfügt, die ihn stets suspekt erscheinen lassen. Bis heute glauben übrigens viele, daß er Jude war.

Wann wurde er orthodoxer Kommunist? Und warum?

Ich glaube, während der Haft in Budapest. Da hat ihm die AWH, die ungarische Stasi, einen Spitzel in die Zelle geschickt. Field ist darauf reingefallen und hat diesem Spitzel einen Kassiber mitgegeben: ein Hilferuf an die US-Botschaft. Er sei US-Bürger, werde gefoltert und hat als Referenz Alan Dulles angegeben, den CIA-Chef, den Field gut aus den frühen 40er Jahren aus Genf kannte. Den Kassiber haben sie Field, der bei den Verhören ständig beteuerte: Es ist alles ein Irrtum, ich bin Kommunist – vor die Nase gerieben. Das war 1949/50.

Bis zu diesem Moment hatte er stets ein wenig mit den Lagern gespielt und dazwischen laviert. Er war ja auch ein amerikanischer Patriot. Anfang der 40er, als er in Genf für das Unitarische Hilfswerk arbeitete, hatte er gegenüber Alan Dulles, der in der Schweiz für den US-amerikanischen Geheimdienst tätig war, den klugen, intellektuellen Diplomaten gespielt. Und gegenüber den Kommunisten hat er sich als Sympathisant ausgegeben.

Er war also doch eine Art Doppelagent?

Nein, er hatte kein Talent für das Agentendasein. Er hat den Amerikanern in den 40ern Informationen über den deutschen Widerstand gegen Hitler zugespielt, um von den Amerikanern Geld zu akquirieren, um damit den deutschen Kommunisten zu helfen. Diese Rolle hat er gespielt. Viel mehr nicht.

Dieses Spiel war mit dem Kassiber zu Ende. Von da an gab es nur noch eine Linie: ein guter Kommunist sein. Keine Abweichung. Entweder-Oder. Nie mehr in den Geruch geraten, ein Kleinbürger zu sein, ein unzuverlässiger Weichling, der, kaum daß er unter Druck gerät, zu den Amerikanern, dem Feind, überläuft.

Die meisten finden es unbegreiflich, daß Field sechs Jahre lang von der KP unschuldig malträtiert wird – und kaum ist er draußen, kämpft er dafür, daß ihm diese sechs Jahre als Parteiarbeit anerkannt werden. Ich verstehe das.

Wirklich?

Ja.

Es gibt in Fields Biographie eine Art schwarzes Zentrum: der Augenblick, in dem er 1955 aus der Haft entlassen wird und seine Frau wiedersieht. Seine Frau, von der er sechs Jahre lang nicht wußte, ob die Stalinisten sie eingesperrt oder ermordet haben. Seine Frau, mit der er seit seiner Kindheit zusammen war, sein ganzes Leben. Er sieht sie und sagt: „Bist du treu geblieben?“ – und meint die Partei. Das ist die totale freiwillige Unterordnung des Privaten unter seine Existenz als Kommunist. Warum tut er das?

Weil er diese sechs Jahre im Kerker nur überleben konnte, wenn er an sich selbst glaubte. Noel wollte sich in dieser Zeit mehrmals umbringen. Davor rettet ihn nur eine Idee: Ich bin nicht der Verräter, den ihr aus mir macht. Ich bin der wahre Kommunist, ihr seid die Verräter.

Es ist wahrscheinlich einfacher ein faschistisches Gefängnis zu überleben, weil der Häftling dort weiß, wer der Feind ist. Im stalinistischen Kerker ist die Lage absurd, denn die, die Field quälten, waren ja seine Genossen aus dem Widerstand, die ihn im Namen seiner eigenen Ideen malträtierten. Field hat in der Haft versucht, sich diese Lage irgendwie rational zu erklären. Es mußte, so dachte er, einen geheimen konterrevolutionären Putsch in der ungarischen KP gegeben haben. Und der letzte, der einzige wahre Kommunist ist er selbst.

Seine Verschwörungsthese – in der KP gab es einen geheimen Putsch – war gewissermaßen die Ergänzung zu jener der Staatsanwaltschaft, die Field in den Schauprozessen zum konspirativen Zentrum der Konterrevolution gemacht hatten.

Ja, er konnte sich nur innerhalb des kommunistischen Denkens bewegen ...

Field war nach seiner Entlassung 1954 linientreu. Das hatte seinen Preis, oder weniger moralisch gesagt: Er mußte dafür etwas leisten, nämlich ungeheuer viel nicht zu sehen. 1956 unterstützt er den russischen Einmarsch in Ungarn, das trennt ihn von manchen seiner früheren Freunde. Wie schafft er das?

Er hält sich die Welt vom Leib. Er umgibt sich nur noch mit Leuten, die seiner Meinung sind. Er ist z.B. mit Kadar befreundet, der wie Field angeklagt und gefoltert worden war, rehabilitiert wurde und 1956 der starke Mann in Budapest wurde. Dieser Rückzug war auch ein aktiver Schutz vor Widersprüchen. Field hat mit niemand mehr über die Haftzeit geredet, auch nicht mit seinem Bruder Herman, der in Polen genau dasselbe durchgemacht hat wie er. Nach 1955 lebt er in einem Haus in Budapest, von dem er wußte, daß sein Telefon abgehört wird, daß Mikrofone installiert sind, und seine Briefe von der Zensur gelesen werden. Field wollte das auch ...

... die Partei als Big brother und Über-Ich ...

Ja. Er wollte auf keinen Fall mehr einen Fehler machen. Er wollte aufgehoben sein in der Partei. Das war sein Ziel. Interview: Stefan Reinecke

arte zeigt „Der erfundene Spion“ heute abend um 22.15 Uhr