Das legendäre Berliner Ensemble steht seit Mittwoch abend ohne künstlerische Führung da. Mit dem Rücktritt des Intendanten Martin Wuttke, nur einen Tag nach dem Rausschmiß seines Starregisseurs Einar Schleef, ist ein Projekt west-östlicher

Das legendäre Berliner Ensemble steht seit Mittwoch abend ohne künstlerische Führung da. Mit dem Rücktritt des Intendanten Martin Wuttke, nur einen Tag nach dem Rausschmiß seines Starregisseurs Einar Schleef, ist ein Projekt west-östlicher Zusammenarbeit gescheitert

Vorhang auf für die Leere

Das Berliner Ensemble (BE) ist mehr als ein Theater. Als Modellversuch west-östlicher Zusammenarbeit ist es seit vier Jahren ein Spiegel hauptstädtischer Befindlichkeit. Mit der fristlosen Entlassung der Regisseurs Einar Schleef am Dienstag und dem Rücktritt des Intendanten Martin Wuttke am Mittwoch ist das Projekt nun endgültig gescheitert.

Zerreißproben gab es in der Vergangenheit viele. Jetzt aber steht das Haus, das als Arbeitsstätte von Bertolt Brecht und Helene Weigel Denkmalschutz genießt, über Nacht ohne Leitung und künstlerische Vision da.

Schleef wurde entlassen, weil er eine Aufführungsserie seiner Inszenierung von Brechts „Puntila“ Ende November kurzfristig abgesetzt hatte, Wuttke trat zurück, weil ihm der Berliner Kultursenator Peter Radunski (CDU) keinen Subventionsvertrag bis ins Jahr 2002 gegeben hat – was er laut einem parlamentarischen Beschluß in der angespannten Haushaltslage der Hauptstadt momentan auch überhaupt nicht kann. Das Ultimatum, das ihm Wuttke Anfang November diesbezüglich gestellt hat, war absurd. Offenbar wollte Wuttke einfach nicht mehr den Intendanten spielen, und da kam ihm die unsichere Lage gerade recht.

Die jüngere Geschichte des BE ist die eines fortgesetzten Verschleißes künstlerischer Kräfte. Eine Gipfelkonferenz großer alter Männer des Theaters wollte der damalige Kultursenator Ulrich Roloff-Momin 1992 im Berliner Ensemble institutionalisieren, als er Peter Palitzsch und Fritz Marquardt, Matthias Langhoff, Heiner Müller und Peter Zadek zusammenrief. Verdiente Brecht-Mitarbeiter, den zeitgenössischen Dichterkönig und einen der renommiertesten Regiestars des Westens. Epische Tradition und politischer Wille trafen auf überbordend sinnliches Schauspielertheater. Prenzlauer Berg meets Toscana-Fraktion hieß es damals.

Langhoff quittierte bald, zwischen Müller und Zadek kam es wegen Einar Schleef zum Bruch. Schleef, der 1993 Rolf Hochhuths Wendestück „Wessis in Weimar“ inszenierte, galt Müller als conditio sine qua non für das Konzept des Berliner Ensembles, Zadek indes wurde durch Schleefs Stil der kollektiven Schauspielerführung an faschistoide Ästhetik erinnert. Schleef wurde gekündigt, doch der Konflikt schwelte weiter.

Anfang 1995 schied Zadek dann aus, und Müller machte alleine weiter, mit Marquardt und Palitzsch im Hintergrund. „Brecht Müller Shakespeare“ war das Programm, und mit Martin Wuttke in der Hauptrolle inszenierte Müller den größten Erfolg des Hauses: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Brecht. Der heute 34jährige Gelsenkirchener wurde für diese Leistung zum Schauspieler des Jahres 1995 gewählt.

Mittlerweile drängte sich aus dem Westen auch Rolf Hochhuth an das Theater, das er wohl als mögliches Forum verstand, sein Politdokumenttheater aus den 60ern aufzuwärmen, und positionierte sich über seine Holzapfel- Stiftung als Eigentümer des Gebäudes. Da sitzt er nun und hält still. Doch jetzt ist die Schreckensvision aktuell geworden, daß das BE unter seinem Einfluß das Brecht-Jahr 1998 erleben könnte – last exit Fußnotentheater.

Denn als Martin Wuttke nach Müllers Tod am 30. Dezember 1995 im Januar überraschend dessen Nachfolge antrat, begann unter der Führung des Chefdramaturgen Carl Hegemann (ehemals Volksbühne) auch eine erst schleichende, in den letzten Monaten galoppierende Unterwanderung des Müller-Konzepts, das das Ensemble immerhin einige Monate lang geeint hatte. Statt Shakespeare und Müller wurden Ionesco und ein Eva-Braun-Stück inszeniert. Statt Thomas Heise, einem jüngeren Regisseur mit BE-Tradition, wurde die 26jährige Karin Henkel vom Burgtheater Wien beschäftigt. Und die Brecht-Erben verweigerten Schleef nach seiner erfolgreichen „Puntila“-Inszenierung auch noch die Aufführungsrechte.

Noch bevor der Spagat zwischen neueren Ansätzen westlicher Tradition und der politischen Avantgarde des Schleef-Theaters künstlerisch produktiv werden konnte, stieg der Intendant demotiviert aus. Die Entlassung Schleefs, eines Regisseurs, mit dem er seit Jahren arbeitet, ist durchaus als Auftakt seines Rücktritts zu sehen. Und auch wenn Wuttke am BE weiterhin spielen will, so tut sich für die Zukunft eine Ödnis auf, die symptomatisch ist.

Das Berliner Ensemble ist per definitionem ein politisches Theater. Was aber ist politisches Theater heute? Der beste Beweis für die komplette Desorientierung in dieser Frage war die Premiere von „Eva. Hitlers Geliebte“ mit Corinna Harfouch am letzten Wochenende. Der ehemalige Müller- Mitarbeiter Stephan Suschke ließ sich von dem „Tatort“-Autor Stefan Kolditz ein Stück schreiben, das sich zwar unerschrocken dem Thema Nationalsozialismus näherte, aber nicht etwa analytisch- distanziert, sondern auf unergiebige Weise menschelnd.

Am besten wäre wohl, man funktionierte das Haus, das bis Ende 1998 mit etwa 21 Millionen Mark jährlich subventioniert wird, zu einem reinen Diskussions- und Experimentierforum um. Kein Glanz und keine große Namen, sondern Arbeit an den Rändern der Frage nach Ost und West, nach Ästhetik und Politik. Angemessener könnte man den 100. Geburtstag von Bertolt Brecht nicht begehen. Petra Kohse, Berlin