Wer nicht hören will, heißt Voscherau

■ Krista Sager im taz-Interview: Die designierte GAL-Spitzenkandidatin vor dem morgigen Landesparteitag über den Bürgermeister und grüne Fast-Realos, Postengeilheit und Programmatik

taz: Noch zehn Monate bis zu den Bürgerschaftswahlen. In Stuttgart hat der grüne Bürgermeisterkandidat fast 40 Prozent geholt. Möchten Sie der weibliche Rezzo Schlauch von Hamburg werden?

Krista Sager: Ach nein, ich bin nicht so dröhnend wie Rezzo Schlauch. Um als Urviech aufzutreten, bin ich viel zu hanseatisch.

Aber dieses Ergebnis!

Man kann die personenbezogene Oberbürgermeisterwahl nicht mit Landtagswahlen, bei denen eine Partei gewählt wird, vergleichen.

Bürgermeister Henning Voscherau glaubt, er hätte 45 Prozent verdient. Wieviel stünde Ihnen zu?

Gemessen an unserer guten Politik mindestens genauso viel.

Nehmen Sie den volksmundelnden Voscherau, zu dessen Lieblingssätzen „Wer nicht hören will, muß fühlen“ gehört, als politischen Denker überhaupt ernst?

Diesen Satz wird er bei der kommenden Wahl womöglich am eigenen Leib zu spüren bekommen. Auf der machttaktischen Ebene halte ich ihn für alles andere als blöd. Ein Problem ist allerdings, daß Voscherau kaum einen neuen Gedanken aufgenommen hat in den vergangenen zwei Jahren. Während Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis einen vielbeachteten Kongreß zum Thema „Dritter Sektor“ und Gemeinwesenarbeit organisiert, diskutiert man hier über Zwangsarbeit und Bettelsatzung. An Voscherau gehen ganze Diskurse vorbei.

Kommen zu inhaltlichen Differenzen persönliche hinzu? Sie mögen Voscherau nicht und er sie nicht, haben Sie kürzlich gesagt.

Sympathie ist keine Kategorie, mit der ich Politik mache.

Der Bürgermeister hält Sie auch für inkompetent. Ihm wäre Joschka Fischer lieber.

Das ist Pfeifen im Walde. Fischer sitzt ihm nicht auf der Pelle.

Die Hamburger Wahlen sind als letzte vor den Bundestagswahlen auch ein Signal für einen Machtwechsel in Bonn. Steht die GAL in puncto rotgrüne Koalition eigentlich hinter Ihnen?

Wir sind uns einig: Wir machen einen grünen Wahlkampf, auch gegen die SPD. Andererseits wollen wir nicht zurück zum alten Fundamentalismus, sondern die Option offenhalten, durch Regierungsbeteiligung Einfluß auf die Stadtpolitik zu gewinnen. Niemand will aus Prinzip ewig in der Opposition bleiben. Ich halte aber nichts von taktischen schwarzgrünen Spielchen. Denn unterhalb von Ole von Beust hat die Hamburger CDU ihre ideologisch-bornierten Positionen beibehalten.

Ist die GAL so „postengeil“ geworden, wie viele glauben?

Wenn wir postengeil wären, hätten wir schon nach der vorigen Wahl rotgrün haben können. Posten hatte Voscherau uns 1993 auch schon angeboten.

Also keine Versorgungsmentalität, wie man sie von der grünen Partei linker Wohlstandsbürger erwarten dürfte?

Das sind wir nicht: Wir haben überproportional gute Ergebnisse bei Arbeitslosen und gleichzeitig bei gut ausgebildeten Akademikern. Die Wahlmotive sind keine Klientelmotive, sondern übergeordnete wie soziale Gerechtigkeit oder der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ...

... zum Beispiel des Wachtelkönigs in Neugraben? In Hamburg gibt's noch immer viele „Bewegungsgrüne“. Sind die Ihnen zu verbissen?

Die Kluft zwischen Basis und Parteifunktionären sehe ich in Hamburg nicht. Dafür sind wir schon zu lange im Parlament, in dem auch Linke Realpolitik machen.

Die Parteilinken sind demnach bereits Fast-Realos?

Es bildet sich eine pragmatische Linke heraus, die sich abkoppelt von denen, die eine Re-Fundamentalisierung der Grünen wollen.

Sie beklagten kürzlich, daß die Grünen vor lauter Regieren nicht zur Entwicklung der Programmatik kämen. In Hamburg war die GAL in der Opposition. Aber wo hat sie denn eine neue Politik entwickelt?

Natürlich hat die GAL-Bürgerschaftsfraktion mit Inhalten Profil gewonnen.

Nur wo?

Energiewende und Verkehrswende ...

... wie die Elbvertiefung und der Bau des Elbtunnels?

Daß wir uns da nicht haben durchsetzen können und die Zeit gegen uns arbeitet, ist nicht der Fraktion anzulasten.

Die GAL hat aber an den alten Punkten festgehalten.

Die Hafenpolitik wurde durchaus weiterentwickelt. Früher haben wir eine Verhinderungspolitik gemacht, heute bieten wir – etwa zur Hafenerweiterung – konkrete und finanzierbare Alternativen. Meine Forderung nach Debatten über das Tagesgeschäft hinaus bezieht sich auf ein neues Grundsatzprogramm. Und diese Debatte hat Fraktionschef Willfried Maier mit dem Thema Gemeinwesenarbeit begonnen.

Die Gemeinwesenarbeit ist selbst in Realo-Kreisen umstritten. Ebenso die „Exzellenz-Förderung“ an den Unis.

Exzellenz ist etwas anderes als Elite. Da haben die KritikerInnen wohl ein Problem mit der deutschen Sprache gehabt. Exzellenz könnte etwa das Herausragen im umweltwissenschaftlichen Bereich sein. Auch bei der Gemeinwesenarbeit geht es nicht um Zwangsarbeit, sondern um eine Verbindung von hauptamtlicher und ehrenamtlicher Arbeit. Es kann nicht gut sein, daß soviel Kreativität brachliegt, nur weil es keine bezahlte Arbeit gibt.

Vielen GALiern ist diese Richtung zu liberal und zu SPD-kompatibel.

Die SPD ist nicht im bürgerrechtlichen Sinne liberal. Und wir sind keine Partei des Besitz-Egoismus oder des Marktradikalismus. Im Gegensatz zur SPD haben wir nie blindes Staatsvertrauen und Staatszentralismus als Lösung aller Probleme angesehen.

Politik machen darf zuweilen auch mehr sein als Sprüche klopfen. Wie soll die GAL für Frauen attraktiver werden, wenn sich die Bürgerschaftsfraktion eine nicht-existente Frauenpolitik leistet?

Die Möglichkeiten, in der Bürgerschaft für Frauen etwas zu tun, sind nicht besonders groß. Ich sehe aber Handlungsspielraum darin, Frauenförderung in die Wirtschaftspolitik zu integrieren.

Gilt die Verbindung von „starken“ Ressorts mit „schwachen“ auch für Wirtschaft mit Umwelt oder Arbeit?

Es gibt denkbare Modelle, etwa Stadtentwicklung und Umwelt zusammenzulegen, Beschäftigungspolitik mit der Wirtschaft oder Bildung und Wissenschaft zusammenzubringen.

Auch mit der GAL würde in Hamburg gespart werden müssen. Wie sollen da noch grüne Projekte finanziert werden?

Eine ökonomische Nutzung der öffentlichen Unternehmen könnte dem Haushalt Luft verschaffen: Also nicht Tafelsilber verschleudern, sondern zum Beispiel die Hafengrundstücke ausgliedern oder die HEW durch Auftragserweiterung ökonomisch nutzen.

Wenn man sich Maiers Realo-Wahlkampfpapier ansieht, fragt man sich: Wozu grün wählen, wenn selbst die SPD die Stadtbahn und die Überdeckelung der A7 will?

Die SPD verspricht die Stadtbahn schon im dritten Wahlkampf. Unsere Stärke ist Energie- und Verkehrswende; wir wollen Arbeit und Umwelt zusammenbringen.

Also ein paar Spielstraßen für die Familien und bessere Radwege für die Zweiradpolitiker?

Die jeweilige Einzelmaßnahme klingt sicher popelig.

Den Autoverkehr würde auch Grün nicht aus der Stadt kriegen.

Aber man kann ihn zurückdrängen, den ÖPNV ausbauen und mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer schaffen. Das Gesamtkonzept will die Mobilitätsentscheidungen beeinflussen.

Im Wahlkampf wird die GAL den WählerInnen bestimmt ein paar nette Versprechen machen. Welche davon würdet Ihr in Verhandlungen mit der SPD brechen?

Ich führe doch jetzt keine Koalitionsgespräche mit der taz.

Wir würden auch nicht mit der GAL koalieren.

Umso besser, wir würden Euch nämlich über den Tisch ziehen.

Immerhin sind wir nicht ganz so pleite wie die Stadt Hamburg.

Aber wir wären mit Euren Löhnen nicht einverstanden.

Sind wir selbst auch nicht.

Fragen: Silke Mertins

und Sven-Michael Veit

Foto: Henning Scholz