: „Mehr Impulse in Berlin“
■ Die „Deutsche Grammophon“ will weg: 95 Arbeitsplätze und ein „Magnet für Klassikmusiker“ gehen Hamburg verloren
Den 100jährigen Geburtstag des Hamburger Traditionsproduzenten für klassische Musik „Deutsche Grammophon“ im Jahre 1998 würde die Geschäftsleitung gerne in Berlin feiern. „Wir erleben, wie schnell sich die Hauptstadt zu einem neuen Kulturzentrum entwickelt“, schwärmt der stellvertretende Geschäftsführer Christoph Schmökel. Von der „Stadt des Umbruchs“ gingen mehr Impulse aus als von Hamburg.
Trotzdem, wiegelt Schmökel ab, würde die Aufgabe des Standorts Hamburg bisher nur „erwogen“. Gegenüber den rund 95 MitarbeiterInnen ist die Geschäftsführung am Donnerstag jedoch deutlicher geworden. Ein Abbaukonzept sei dem Betriebsrat bereits vorgelegt worden, bestätigte die Betriebsratsvorsitzende Sabine Bormann: „Wir haben den Eindruck, daß die Entscheidung bereits gefallen ist.“ Die Belegschaft stünde „unter Schock“ und hätte „fast einstimmig“ gegen die Unternehmenspläne gestimmt. Zunächst sollen Produktionsbereiche wie Lektorat und Production Service ausgelagert werden. Anschließend, fürchtet der Betriebsrat, könnte eine Standortverlagerung dazu benutzt werden, sich bisheriger Mitarbeiter, von denen viele der Geschäftsführung „zu alt, zu teuer und zu lange dabei“ seien, zu entledigen. Im Konzept werde nur über Kostensenkung geredet, inklusive „der Bereitschaft, auf Qualität zu verzichten“, so Bormann.
Für einen Umzug nach Berlin gebe es „keine vernünftigen Gründe“. Die Deutsche Grammophon, die zu der Londoner Polygram-Gruppe gehört, habe nicht nur „das Kulturgut Schallplatte entwickelt“, sondern sei auch noch immer Marktführer der Klassikmusik. Stars wie Karajan und Bernstein haben zu Lebzeiten bei Grammophon produziert, Klassikgrößen wie John Eliot Gardiner mit seiner „Zauberflöte“, Violinistin Anne-Sophie Mutter oder Opern-Bariton Brian Tyfel stünden unter Vertrag.
Durch Dumping-Preise von Billiglabeln, die mit weniger bekannten Musikern und abgesenkten Standards produzieren, ist die Deutsche Grammophon unter wirtschaftlichen Druck geraten. Fünf Jahre Mißmanagement hätten ein Übriges getan, so Betriebsrätin Bormann. Doch mit einem Umzug und damit dem Verlust der „örtlichen Infrastruktur“ sei die „Marktführerschaft“ erst recht bedroht. Der Betriebsrat will deshalb ein Gegenkonzept entwickeln, das sowohl den wirtschaftlichen Schwierigkeiten als auch dem Standort und den Arbeitsplätzen Rechung trägt. „Für die Medienstadt Hamburg wäre der Umzug ein enormer Verlust.“
Auch die Hamburger Kulturbehörde ist alarmiert. Die Deutsche Grammophon sei ein „Magnet für Klassikmusiker aus aller Welt“, kommentierte Behördensprecher Ingo Mix. Falle dieser Anziehungspunkt weg, sei das ein schwerer Schlag „für die Kulturstadt Hamburg“. Wirtschaftssenator Erhard Rittershaus, der noch vor zwei Tagen verkündete, die Wirtschaftssituation sei besser als die Stimmung, scheint indes noch unter Kulturschock zu stehen; zu der Standortverlagerung der Grammophon und dem Arbeitsplätzeverlust Stellung zu nehmen, war ihm gestern nicht möglich. Silke Mertins
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