Wand und Boden
: Beat und Dada

■ Kunst in Berlin jetzt: Williams, Niki de Saint Phalle, Florschütz

Berlin zieht Fluxus an: Mitte der siebziger Jahre war George Maciunas hier, Yoko Ono würde sich gerne ein Atelier am Prenzlauer Berg einrichten. Vor 15 Jahren kam auch Emmett Williams als DAAD-Gast nach Berlin und blieb. Nun ist dem diesjährigen Hannah-Höch- Preisträger eine sehr überschaubare Retrospektive gewidmet – sie paßt in einen Raum des Martin-Gropius-Baus, mitten zwischen die Sammlungsbestände der Berlinischen Galerie. Daraus ergibt sich eine geschickte Engführung, bei der man schnell einen Bogen von den Schriften des Dadaismus zu Williams gemalten Beatpoemen schlagen kann.

Vor allem hat der 1925 in Greenville/USA geborene Mitbegründer der Fluxus-Bewegung an einer Übersetzung von Schrift in Bild gearbeitet. Wie in konkreter Poesie finden sich frühe Experimente mit Worten, die Williams über dem Blatt zerschnipselt. Später wird der einzelne Buchstabe zum Material für Bilder, etwa als kaleidoskopisch vermengte chinesische Schriftzeichen („Ay-O“) oder auf „Alphabet Square“. Im Zentrum steht jedoch das literarische Leben von Fritten-Gedichten aus den fünfziger Jahren bis zum Reisetagebuch. Daneben heben sich die Arbeiten über Berlin etwas ungelenk ab. 1981 erscheint der Potsdamer Platz auf einem Siebdruck: Der Westen ist rot, gelb der Osten und die Mauer schimmert als blauer Streifen in der Mitte – Barnett Newman als Politkalauer. Nur von der Malerei bleibt nach dem Witz nicht mehr viel übrig.

Bis 5. 1., Di.–So. 10–20 Uhr, Stresemannstraße 110

Nicht Pop, aber Masse: Quer durch die Stadt hängen blaue Plakate zur Ausstellung von Niki de Saint Phalle, die sich kaum von den Reklameschildern für Swatch-Uhren unterscheiden. Doch das Motiv ist seltsam, eine kräftig gerundete Frau klammert sich mit gespreizten Beinen um einen Raben, dessen regenbogenfarbenes Gefieder an den Beatles- Film „Yellow Submarine“ erinnert. Aus der Nähe ist die Skulptur „Der verliebte Vogel“ von 1990 weitaus obszöner, wie auch sonst in den Arbeiten von Niki de Saint Phalle Mythos und Eros stets naiv, bunt und sehr dekorativ ineinandergleiten.

Dabei hat sich das Grundmotiv ihrer „Nana“, eine Art Ur- Mutter mit entsprechend üppigem Körper, seit den sechziger Jahren kaum verändert. In dieser Frauenfigur vereinen sich die klobigen Proportionen eines Fernand Léger, Jean Tinguelys grazile Mechanik und Henry Moores Sinn fürs Archaische. Als hätte Niki de Saint Phalle die verschiedenen Entwürfe von Weiblichkeit überbieten wollen, parodieren ihre Skulpturen den Umgang der Männer mit dem Körper. Statt ihn zu bändigen, läßt de Saint Phalle einfach jede Form gewähren. Füße und Hände tauchen bald als Klumpen auf, dann wieder geschmeidig wie ein Fähnlein im Wind; Köpfe sind kaum größer als Knöpfe, Brüste dagegen melonenartig. Die Frau, ein surreales Wesen. Mittlerweile sind die Monstren der Weiblichkeit allerdings von Ornamenten übersät, in denen sich die wilde Form verflüchtigt. Dem „Nana- Engel“ von 1993 wächst ein schwarz geäderter Flügel aus der Schulter, bei einem verliebten Stier schimmert ein knallig rotes Herz durch die mit Zeichen beladene Skulptur. Die frühe Feministin, die 1962 noch auf ihre Gipsfiguren mit der Flinte schoß, bleibt heute trotz Cyborgs und Dekonstruktion märchenhaft gelassen.

Bis 31. 1., Mo.–Fr. 15–19,

Sa. 11–14 Uhr, Galerie Rafael

Vostell, Niebuhrstraße 2

Zunächst ist da welkes Fleisch. Dann erst zeichnen sich die Konturen von Füßen, Waden, Fingern ab. Thomas Florschütz hat seine aus der Nähe fotografierten Körperstudien noch weiter verfeinert. Die Serie „Suburbia“ in der Galerie Nikolaus Sonne braucht kein Rotlicht oder Schattenspiel mehr, die menschliche Gestalt ist ihm so schon fremd genug. Die Virtuosität, mit der Florschütz den eigenen Leib sezierend erforscht, ist am Ende vielleicht nicht ohne eine gewisse Distanz und Ironie zu haben. Hüften, Filetstücke, Häuser: Der Urbanismus beginnt beim Knochenbau.

Was immer Florschütz an Körperarchitekturen zeigt, die Teile sind symmetrisch angeordnet. Fersen als Diptychon, drei Kniegelenke in Reihe, ein fünffaches Netz sich überkreuzender Fußwurzelknochen; daneben ein Teppich aus nasser Armbehaarung oder Dschungelbewuchs auf einer vervielfältigten Brust. Schon in der Multiplikation liegt ein Bruch mit der Selbstwahrnehmung, die vom Apparat herrührt. Der 1957 geborene Fotograf inszeniert nicht, er exerziert: Schärfe/Unschärfe, Fragment/Wiederholung – technische Verfahren, denen der Körper in der Fotografie unterworfen ist. Aber die Abstraktion am Subjekt bleibt Abbild der Natur und daher wandelbar wie die Wolken am Himmel über Berlin. Florschütz' Bilder sind auch eine Hülle für diese Art von Melancholie.

Bis Ende Januar, Di.–Fr. 15–18.30 Uhr, Kantstraße 138 Harald Fricke