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Ärmel aufkrempeln, zuhören

Über die neue Lust von Kunst und Wirtschaft, zueinanderzukommen. Der Kongreß tanzte den Habermas  ■ Von Harry Nutt

Die Hugo Boss AG, Stoffwarenproduzentin eines gewissen Prollschicks, hat kürzlich viel Applaus für eine neue Sponsoridee bekommen. Für die großzügige Unterstützung des New Yorker Guggenheim-Museums erhalten Boss-Mitarbeiter in New York freien Eintritt und dürfen die wertvollen Kataloge des Verkaufsshops per „Art Paß“ rabattiert erwerben. So etwas nennt man Synergieeffekte. Die Firmenangehörigen geben eine eigene Touristenklasse ab, bilden sich extern weiter und verhelfen dem Modehersteller zu einem Firmenprofil mit dem gewissen Etwas. Derartiges Engagement für die Kunst hat der Firma einen vorderen Platz in der internationalen Wirtschaftsavantgarde eingebracht.

Seit sich der Staat angesichts leerer Kassen als Förderer der Kultur mehr und mehr aus der Verantwortung stiehlt, weicht auch das Mißtrauen vieler Künstler gegenüber dem Vereinnahmungsgebaren der Industrie. „Man kann doch über alles reden“ lautete denn auch das Credo einer Veranstaltung der Berliner Kulturbrauerei mit dem vieldeutig klein geschriebenen Titel: „unternehmen kultur – kultur unternehmen“.

Zunächst hatten die Handelsreisenden das Wort. Matthias Kleinert, seines Zeichens Generalbeauftragter der Daimler-Benz AG, berichtete von allerlei Reiseerlebnissen und warum bei seinen Handelsgesprächen in aller Welt auch die Kultur nicht zu kurz komme. Neben dem Mercedes-Stern als Symbol des Wirtschaftsstandorts Deutschland könne sich noch immer die Kultur aus deutschen Landen behaupten. Sie, die Kultur, sei ein immaterielles Kapital, über das gerade draußen in der Welt Vertrauen aufzubauen sei, ein kommunikatives Gleitmittel gewissermaßen. Der therapeutische Diskurs so mancher Managerseminare zeigt seine Wirkung. Im Dialog zwischen Kultur und Wirtschaft reiche es nicht mehr aus, Flagge zu bekennen, so Kleinert, es käme vielmehr darauf an, Gesicht zu zeigen. Von Angesicht zu Angesicht lösen sich manche Probleme wie von selbst, und im Fließen der Kommunikation kommt auch der Warenabsatz nicht zu kurz.

Eine andere Variante der demonstrativen Kulturaneignung ist die Umwidmung der Firmentradition zur Unternehmenskultur. Die Firma Siemens hat diesbezüglich eine lange Geschichte, denn seit jeher versuchte man, den „Siemensianer“ über den Arbeitsalltag hinaus an das Unternehmen zu binden. Erich Gerard, Direktor des Büros „Kultur im Unternehmen Siemens AG“ erläuterte, warum Siemens es sich leisten kann, auch experimentelle und unorthodoxe Kunst zu fördern. Anders als Mercedes, wo man den Endverbraucher ins Visier nehmen müsse, komme es beim Technologietransfer darauf an, die Neigung von Regierungen und Institutionen zu gewinnen. Ein bißchen avantgardistischer Furor kann dabei nicht schaden, und „irgendwo findet sich immer Geld für spannende Projekte“. Auf burschikose Art und Weise, so der Eindruck am Ende des ersten Tages, hat die Wirtschaft den Job übernommen, der siechenden Kultur auf die Sprünge zu helfen. Dies muß ganz im Sinne des abwesenden Schirmherrn der Veranstaltung, des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, gewesen sein, der per Grußadresse ausgegeben hatte: „Die Förderung der Künste kann nicht alleinige Aufgabe des Staates sein.“ Alles weitere wird künftig an die Ausschüsse verwiesen. Das Gemeinnützigkeitsrecht müsse geändert und das Stiftungswesen vereinfacht werden, hieß es gleich zu Beginn der Tagung. Die Rolle des Spielverderbers übernahm am zweiten Tag die Systemtheorie. Der in seiner Werkarchitektur längst mit Einrichtungsfragen beschäftigte Niklas Luhmann, gegen die feierliche Stimmung der Tagung weitgehend resistent, gestand seine Probleme mit der Kultur. Sie entbehre eines Gegenstands und sei in der griechischen und römischen Tradition stets nur im Genitiv, z. B. der Agrikultur, verwandt worden. „Kultur ist kein eigenes System, sie kommt zu oft vor.“ Luhmann sprach fortan also nicht über Kultur, sondern von Kunst und beschrieb diese als operativ geschlossenes, autonomes System der Gesellschaft. Überlegungen, wie die Kunst der Wirtschaft nutzen könne und umgekehrt, seien also zwecklos. Die Abhängigkeit der Kunst von Geld sei eine rein ökonomische Frage, die folglich das Subsystem Wirtschaft betreffe. Weder zupacken noch zuhören oder umarmen empfiehlt Luhmann, sondern beobachten. An der Kunst der Gesellschaft interessiert die Systemtheorie deren Fähigkeit zur Selbstorganisation. Gesellschaft sei nicht mehr von festen Prämissen aus zu denken, sondern von der Frage, wie sie mit ihrem Überschuß an Möglichkeiten umgehe. Es gebe ja nicht zuwenig Geld, sondern zuviel. Die Frage ist immer nur, wofür es ausgegeben wird. Das Interesse eines Unternehmens am Sponsoring und an der eigenen Firmenkultur bestehe in der Beobachtung der eigenen Grenze, führte der Luhmann- Schüler Dirk Baecker von der Universität Witten-Herdecke aus und warnte vor Selbstüberforderungen. Die neue Sensibilität gegenüber der Kultur und das angestrengte Arbeiten an einer Unternehmenskultur stelle eher eine Art Frühwarnsystem dar, das allenfalls dazu geeignet sei, die permanente Selbstgefährdung eines Unternehmens zu thematisieren. Die Kunst im Unternehmen könne sich ebenso als Störfaktor erweisen wie der Moment, in dem Mitarbeitern tatsächlich einmal Verbesserungsvorschläge einfallen. Ein Unternehmen könne in der Regel kein Interesse an dem noch nicht Beruhigten der Kunst haben. Baecker plädierte indes für den Abbau eines pathetischen Kulturbegriffs. Die theoretischen Anmutungen von Baecker und Luhmann hinterließen schließlich Irritationen, vermochten die neuen Verbrüderungsgelüste zwischen Kultur und Wirtschaft aber nicht weiter zu trüben.

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