Chinesische Lösung?

■ Serbien: Milošević rührt sich nach wie vor nicht

Das Oberste Gericht in Serbien hat die von den Sozialisten verfügte Annullierung der Wahlen gutgeheißen. Dies scheint eine Richtungsentscheidung zu sein: Milošević bleibt hart – trotz des internationalen Drucks und obwohl kein Ende des Protests in Sicht ist. Aber er scheint immer weniger über klare Ziele und Strategien zu verfügen.

Zuvor hatte es durchaus Indizien für eine Wende gegeben. Das Oppositionsradio B92 darf wieder senden. Und Dušan Mihajlović, Chef einer mit den Sozialisten verbündeten Partei, deutete an, daß die Fälschung der Kommunalwahlen ohne Miloševićs Wissen vonstatten gegangen sei. Das war der Versuch, Milošević eine goldene Brücke zu bauen (oder ein brüchige?). Das mögliche Szenario: Der Regierungschef opfert ein paar lokale Belgrader Funktionäre, stellt eine Wiederholung der Wahl in Aussicht und nimmt der Opposition so den Wind aus dem Segel.

Diese Entwicklung ist mit der Entscheidung des Obersten Gerichts wohl hinfällig. Was nun? Milošević' Manöver erinnern immer mehr an Krenz' Rettungsversuche im Oktober 1989. Erst die mißliebige Wirklichkeit ignorieren, dann ein halbherziges Kompromißangebot. So bleibt Milošević nur, was er schon seit Wochen tut: Die Opposition kleinreden und gelegentlich, und sei es durch die Versicherung, keine Gewalt anzuwenden, die zweite Möglichkeit andeuten: Gewalt, die chinesische Lösung. 1989 ging in der DDR friedlich über die Bühne, weil das Regime schlicht keine Idee mehr hatte, was es zu verteidigen galt. Milošević hingegen weiß, worum es geht. Um Macht und Stabilität in Serbien. Die repräsentiert er noch immer.

Und die Opposition? Manche moralisch hochgerüsteten Beobachter im Westen haben bisher vor allem warnend den Finger gehoben und den Nationalismus der Führer Djindjić und Drašković gegeißelt. Aber das reicht nicht. Denn klar ist: Die Studenten, der aktive Kern der Opposition, haben damit wenig gemein. Zudem hat sich die albanische Kosovo-Führung nun mit der Opposition solidarisiert, zu der sie zuvor stets Distanz gehalten hatte.

Ein Sieg der Opposition in Belgrad wäre keine Garantie für Demokratie und Frieden. Mit Milošević allerdings wird es beides nicht geben. Stefan Reinecke

Berichte Seite 8