Der fahle Charme einer Tanzband

■ Wollten ein bißchen nostalgischen Spaß haben, und warum auch nicht: Die Heads ohne David Byrne, dafür mit Johnette Napoliatano im Hamburger Mojo-Club

Ideen muß man haben. Vor allem, wenn man Tina Weymouth, Chris Frantz und Jerry Harrison heißt und anno 96 als The Heads wieder in den Rockring steigen möchte. David Byrne jedenfalls war gar nicht amused und zog gleich vor Gericht gegen seine Exweggefährten, nachdem sie sein „Njet!“ zur Fortsetzung der zeitweilig ruhenden Bandaktivitäten nicht akzeptieren mochten.

Byrne, mutmaßt Harrison, wolle die Talking Heads endgültig der Geschichte übereignen. Während zumal die ehrgeizige „Punk Lolita“ Tina Weymoth trotzig ihren Anteil daran reklamiert. Und deshalb zumindest den assoziativen Namensrumpf beansprucht. Schließlich einigte man sich auf einen CD-Sticker, der klarstellt, was aus Byrnes Sicht unbedingt klarzustellen war (nämlich daß dies nicht wirklich die Talking Heads sein können, ohne ihn).

Weymouth, Frantz und Harrison hatten tatsächlich eine, zumindest auf dem Papier vielversprechend anmutende Idee. Wenn schon Byrne nicht wirklich zu ersetzen war, warum dann nicht gleich die ehedem forcierte Zuspitzung auf eine neue Frontperson aufgeben? Das würde die Last der Byrne-Nachfolge immerhin auf viele Schultern verteilen. Dabei kam dem Trio zupaß, daß es zuletzt produzierend sehr umtriebig war: Harrison und andere mit den Violent Femmes, den Crash Test Dummies und Live, das Rhythmusgespann Weymouth/Frantz und andere mit Reggae-Sohn Ziggy Marley und den britischen Rabauken Happy Mondays. Also kurz die Adreßbücher aufgeklappt, und schon wenig später standen die KandidatInnen Text bei Fuß, um den Überlebenden aus dem Land des guten, alten Grooves (ohne den auch Byrne ganz schön alt ausgesehen hätte...) auf die Vocal- Sprünge zu helfen.

Auf dem so realisierten CD-Werk mit dem einigermaßen bescheuerten Titel „No Talking Just Head“ funktionierte der Workshop noch leidlich, zumal sogar Reaktivierte aus gemeinsamen New Yorker „CBGB's- und „New Wave“-Tagen eine gute Figur machten: Debbie Harry (Blondie), Richard Hell und XTC-Kopf Andy Partridge. Immerhin klang der munter-brachiale Stilreigen quer durch Sleaze-Rock, Pop, House und White Funk nicht so dated, wie zu befürchten stand, enthielt sich aber auch allzu modernistischer Verrenkungen. Wehmütige Gedanken an Byrne? Kaum.

Also: Mission accomplished?

Nicht ganz. Denn die Heads wollten auch wieder auf die Bühne. Studioarbeit, schön und gut, aber „you still miss playing“, wie Harrison erklärt. Und zwar so sehr, daß für die Live-Version des Comebacks sogar ein personelles Nullsummenspiel riskiert wurde. Nicht weil der angeheuerte Byrne-Ersatz Johnette Napoliatano (Ex-Concrete Blonde) eine mediokre Sängerin wäre. Sondern nur, weil sie eben doch fast wieder die ganze Last zu schultern hat.

Nicht nur muß sie, neben wenigen eigenen Songs, beim einzigen Deutschlandkonzert im Hamburger „Mojo“-Club die CD-Vorlagen so unterschiedlicher Songwriter/Vokalisten wie Maria McKee, Michael Hutchence, Debbie Harry und Gordon Gano interpretieren, was halbwegs gelingt. Nein, die neuen Arbeitgeber ersparen ihr auch den erstaunlich ausführlichen Rückgriff auf die Byrne-Klassiker nicht: „Memories Can't Wait“ (gleich zum Auftakt), „Warning Sign“, die bei Al Green abgheholte Zugnummer „Take Me To The River“, „Burning Down The House“, ja sogar der „Psycho Killer“ durfte eine Ehrenrunde drehen. Was dann schon den fahlen Charme einer enthusiastischen Cover-Band verströmte, die auf einer tosenden „New Wave“-Party reüssiert.

So diente der Abend auch der Demystifizierung, nicht nur von Autorenschaft: Huch, waren die Talking Heads vielleicht schon immer eine ziemlich normale Tanz- Rock-Band? „Art ist not comfortable and makes no apologies“, verkündete unter anderem eine fortlaufende Leuchtschrift im Bühnenhintergrund. Die Heads haben es sich nicht gänzlich bequem gemacht, entschuldigen müssen sie sich auch nicht. Daß sie auch ein bißchen Nostalgiespaß wollten, kann ihnen niemand verübeln. Sie bezahlten ihn nur mit der Idee, die sie vielleicht sogar über ihre Geschichte hätte siegen lassen können. Davon abgesehen: Es ist immer ein Genuß, Tina Weymouth Baß spielen zu sehen. Jörg Feyer