Offizielle Optimisten des Eurofilms

Drei goße Hurras für Lars von Triers „Breaking the Waves“ bei der Felix-Verleihung in Berlin – eine zum Teil geliehene Jovialität ersetzte bei der zu Oscar-Format aufstrebenden Feier den hohen Ton der Wendersschen Tragik  ■ Von Katja Nicodemus

„Hi!“ Bisher undenkbar, auf diese Weise eine Felix-Verleihung zu beginnen. Ganz jovial, mit dadaistischem Jackett und buschigem Schnauzer, ersetzt Nik Powell, Produzent und neuer Vorsitzender der Europäischen Filmakademie (EFA), das tragische Tremolo seines Vorgängers Wim Wenders durch die Ausstrahlung des sympathischen Kumpanen. Selbsternannter „official optimist of the European film business“, hat Powell derzeit nicht viel mehr zu bieten als jede Menge guter Vorsätze und einen Haufen kleiner Statuetten, die aussehen, als hätte jemand eine halbe Stunde lang mit dem Hammer auf den amerikanischen Oscar eingehauen und dann noch den Flammenwerfer draufgehalten. Aber der Mann hat Humor, Pragmatismus und die Überzeugungskraft eines Gebrauchtwagenhändlers, also genau das, was dem elitär erstarrten, fast inzestuös verbandelten EFA-Haufen so dringend fehlte.

Nachdem Berlin im letzten Jahr kein Geld mehr für den Felix lockermachen wollte, hatte man sich mit der theatralischen Attitüde der beleidigten Operndiva zunächst nach anderen Orten umgesehen, von Straßburg und Paris geraunt, um dann mit wehenden Fahnen, deutschen Lottomitteln und anderen Fördertöpfen an der Spree zu bleiben.

Felix 96, sonntags um elf im Blauen Zelt am Lützowplatz, Kompromiß zwischen morgendlicher Verschlafenheit und dem gewünschten Glamour der arte- Übertragung am Abend, Frühstücksatmosphäre und harten Getränken, Kunstanspruch und Popularität der Kandidaten.

Schien es in den vergangenen Jahren manchmal, als wolle man die nominierten Filme um jeden Preis am Publikum vorbeischleusen, bemühte man sich diesmal, bekanntere Produktionen ins Rennen zu schicken. Daß Lars von Triers „Breaking the Waves“ gleich drei Trophäen abstaubte (Felix für Emily Watson als beste europäische Schauspielerin, Felix für den besten europäischen Film und Fipresci-Preis), war vielleicht zuviel des Guten, aber auch nicht richtig ärgerlich, immerhin hatte Mike Leighs ebenfalls nominierter „Secrets and Lies“ der dänischen Produktion in Cannes bereits die Goldene Palme weggeschnappt.

Zwischen den beiden wirkte Jan Sveraks „Kolya“ letztlich wie eine Alibinominierung. Eindeutig ins Schwarze traf die Jury mit ihrem Nachwuchs-Felix: „Some mother's son“ von Terry George über die Mütter zweier IRA-Kämpfer, die dem Hungerstreik ihrer Söhne auf völlig unterschiedliche Weise begegnen, ist packend inszeniertes Politkino ohne Gefühlsmatsch und platte Parteinahme.

Da hatten Ivan Filas „Lea“ und Hetti MacDonalds „Beautiful thing“, elegisches Trauerspiel und britische Coming-out-Komödie, nicht mehr viel zu melden. Daß Sergei Bodrovs Film „Der Gefangene des Kaukasus“ mehr als nur die Drehbuchauszeichnung verdient hätte, soll hier einfach mal behauptet werden. Die an Puschkin angelehnte Parabel um zwei russische Gefangene im Tschetschenienkrieg befaßt sich mit eben jenem unbequemen Aspekt Europas, der in deutsch-russischen Saunasitzungen gerne verschwitzt wird.

An solchen cineastischen Stiefkindern ohne Stars und mit schwierigem Thema manifestiert sich das alte Felix-Dilemma zwischen Filmkunst und Vermarktung der Veranstaltung.

Im Vor- und Umfeld dieser Verleihung war jedenfalls Glamour das große Stichwort. Wohl auch deshalb hatte man den Hollywood- Veteranen und mehrmaligen Produzenten der Oscar-Zeremonie, Samuel Goldwyn jr., als Ehrengast geladen. Der zeigte sich charmant, anekdotisch und vor allem ehrlich: „Do your own show, but don't hang up on this Oscar business.“

Mit der Einführung des Felix für den besten nichteuropäischen Film schielt die EFA allerdings durchaus nach dem transatlantischen Konzept, in diesem Jahr sogar mit einem amerikanischen Preisträger, etwa so, als gäbe David Goliath ein Stück von seinem Pausenbrot ab. Ob Johnny Depp, der die Statue stellvertretend für Jim Jarmusch und „Dead Man“ in Empfang nahm, mit fettigen Haaren und von diversen Wodka-Orange getrübtem Blick, nun besonderen Glamour versprühte, sei dahingestellt. Ansonsten bot die Verleihung in diesem Jahr eine angemessene Synthese aus Dilettantismus (dunkle Filmprojektionen auf handtuchgroßer Leinwand), Eurochaos (das so rätselhafte wie einnehmende Englisch der spanischen Schauspielerin Rosana Pastor bzw. Ettore Scola, der die französische 15 wie „Käse“ ausspricht) und Selbstironie (Nik Powell).

Demnächst soll allerdings alles eine Nummer größer werden. Nach dem Vorbild der amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences will sich die Akademie mit mehr Mitgliedern versorgen, 600 bereits im nächsten Jahr und demnächst sogar mehreren tausend. „Wozu die Oscar- Verleihung 50 Jahre benötigte, werden wir in zehn Jahren schaffen“, protzt Powell sympathisch wie ein kleiner Junge und will die Veranstaltung demnächst einem privaten Produzenten zur Expansion und Vermarktung übergeben. Eigentlich schade, denn irgendwie war die Kragenweite diesmal angemessen, so ganz ohne Fernsehballett, Pappkulissen und peinliche Conférenciers.

Der väterliche Goldwyn jedenfalls prophezeit bereits Titanisches: „Ihr müßt das Ding vermarkten wie ein Riesensportereignis, wie ein Tennisturnier mit Fernsehübertragung, Plakaten, Sponsoren und Millionen Zuschauern. Mindestens so wie in Cannes. Ich bin ganz sicher, ihr habt jede Menge Glamour hier in Berlin, in dieser großartigen Stadt. Abends dann Juwelen an den Hals, rein in den Smoking und auf zur großen, festlichen Felix-Party.“ Here we go, Sam.