piwik no script img

Zusammengehalten durch ein morbides Regime

Der Krieg in Ostzaire offenbart: Das Riesenreich Mobutus wurde in den letzten Jahren vor allem durch Eigeninitiative der Zivilgesellschaft am Leben gehalten. Steht der zentralafrikanische Staat jetzt endgültig vor dem Zerfall?  ■ Von Daniel Stroux

Bricht das Riesenreich im Zentrum Afrikas, in das das wiedervereinigte Deutschland siebenmal hineinpaßt, auseinander? Werden Zaires östliche Nachbarn, die mit den Rebellen in Ostzaire liiert sind, die Chance ergreifen, sich eines Teils des Landes zu bemächtigen, um eine Pufferzone gegen mögliche Angriffe von Hutu-Milizen zu errichten? Schon jetzt besetzen die Rebellen unter Laurent Kabila einen über 500 Kilometer langen Streifen entlang der Grenzen zu Burundi, Ruanda und Uganda. Die zairische Armee floh vor den Kämpfen – nachdem sie plündernd durch die Dörfer gezogen war und die Bevölkerung terrorisiert hatte. Die Rebellen haben bereits zwei von elf Regionen Zaires, Nord- und Südkivu, mit ihren Hauptstädten Goma und Bukavu eingenommen. Sie sind jetzt dabei, auf die Provinzhauptstadt Oberzaires, Kisangani, vorzurücken. Von dort aus ist es nicht mehr weit in die Hauptstadt Kinshasa. Dort werden die Generäle des Mobutu- Clans langsam nervös.

Die Mißerfolge der unter- oder gar nicht bezahlten und deshalb absolut disziplinlosen Armee, haben zweierlei offenbart: Ein Machtvakuum in Zaire – das von bewaffneten Gruppen nun dazu genutzt werden kann, von verschiedenen Fronten gegen das Regime vorzugehen. Sie können damit rechnen, auf wenig Widerstand zu treffen. Zweitens offenbarten sie den Staatszerfall: In den letzten Jahren wurde das Land einzig durch ein morbides Gewaltmonopol zusammengehalten. Armee, Polizei und Geheimdienste dienten nicht dazu, Bürger zu schützen, sondern um ein längst nicht mehr legitimiertes Regime am Leben zu halten. Dieses existierende Gewaltmonopol war die einzige staatliche Präsenz der letzten Jahre. Eine Gesundheitsversorgung existierte nicht mehr, das Bildungssystem wurde nur von der Kirche am Leben erhalten, und die nie instand gehaltene Infrastruktur beschleunigte die verkehrsmäßige Trennung der Regionen.

Wirtschaftliche Kontakte pflegen die Regionen eher mit dem Ausland, aber nicht mit der Hauptstadt Kinshasa. Die Region Shaba etwa ist hauptsächlich Richtung Süden orientiert, nach Sambia und Südafrika. Der Kivu richtet sich nach Ostafrika, die Oppositionsregion Kasai inzwischen nach Südafrika. Die staatliche Grundversorgung mußte die Gesellschaft übernehmen. Für die Müllentsorgung, die Sicherheit in Stadtvierteln und den Zustand der Straßen kümmerten sich die Menschen selbst. Die Zivilgesellschaft kompensierte, was „Vater Staat“ nicht mehr leistete.

Der Staat hat sein Gewaltmonopol verloren

Muß Zaire nun auseinanderbrechen – wenn der „Staat“ restlos das Gewaltmonopol auf seinem Territorium verloren hat? Drohen die Sezessionen der „Kongo-Wirren“ in den 60er Jahren, als das frühere Katanga (heute Shaba) oder die Region Kasai sich abspalten wollten? Shaba etwa bildet eine Lebensader Zaires – eine Sezession wäre verheerend für das Land. Shabas Kupferexporte trugen noch Ende der 80er Jahre zu 40 Prozent der Exporteinnahmen bei. Zink, Mangan und Uran spielten überdies eine wichtige Rolle. Heute liegt die Produktion allerdings am Boden.

Gerade hier wurden in den letzten Jahren immer wieder Forderungen nach Autonomie laut. Doch die dort größte Partei Uferi ist in dieser Frage seit November gespalten – eine Fraktion will sofort unabhängig werden, die andere erst 2010. In der Oppositionshochburg und dem Diamantenzentrum Kasai war von Abspaltung lange keine Rede mehr. Etienne Tshisekedi, der aus Kasai stammende Oppositionsführer, will Präsident des gesamten Landes werden und nicht Provinzfürst seiner Region.

Und die Kornkammer Zaires, die beiden Povinzen des Kivu? Der Ansturm der Rebellen gegen das morbide Gewaltmonopol des Regimes könnte in der Tat einen territorialen Zerfall einleiten. Aber: die Rebellen haben nicht die Sezession zum Ziel. „Wir kämpfen für alle Zairer und wollen das korrupte Regime von Mobutu stürzen“, sagt Rebellenchef Laurent Kabila, der eine Übergrangsregierung und faire Wahlen fordert. Natürlich kann man unterstellen, daß Kabila mit geschickter Rethorik kaschiert, daß er im Auftrag der Nachbarn Ruanda, Uganda und Burundi handelt, die nur eine Pufferzone zu Zaire und womöglich Lebensraum für das überbevölkerte Ruanda schaffen wollen.

Doch erstens spricht die Zusammensetzung der Allianz um Kabila dagegen. Sie vereint nicht nur die Tutsi-Minderheiten der Region. Kabila ist aus Shaba, dessen Militärchef André Kisese Ngandu ein Baluba aus Kasai, und Masasu Nindaga ein Bashi aus dem Südkivu. Zweitens mobilisiert die Rebellion weitere bewaffnete Gruppen in Shaba, im Norden in Oberzaire und in der von Kinshasa westlich gelegenen Region Niederzaire, die an der Seite der Allianz von Kabila mitkämpfen könnten. Aus der Hafenstadt Matadi in Niederzaire spricht man bereits von Unruhen, die von „Leuten aus Angola“ provziert werden.

Drittens scheinen die Zairer im Kivu den neuen Machthabern zwar skeptisch, aber positiv gegenüberzustehen: Die neuen Herrscher erscheinen ihnen immer noch besser, als das korrupte Regime in Kinshasa. Zairische Soldaten laufen Kabilas Allianz zu.

Viertens sehen zahlreiche Zairer in der Hauptstadt Kinshasa den Rebellenchef bereits als das notwendige Übel, um das Mobutu- Regime zu beseitigen. Ihre Hoffnungen auf ein demokratisches Zaire wurden in den letzten sechs Jahren nicht nur von einem Regime, das sich an die Macht klammerte, enttäuscht, sondern auch von einer zerstrittenen Opposition. Auf Druck der Straße hatte Mobutu im April 1990 das Einparteiensystem abgeschafft, Parteien zugelassen und eine freie Presse erlaubt. Eine breite Oppositionsbewegung vermochte dem Präsidenten tatsächlich Macht abzuringen: Eine von der Opposition dominierte Nationalkonferenz wählte 1992 ihren Premierminister. Oppositionsführer Etienne Tshisekedi entwarf eine Übergangsverfassung, die Präsident Mobutu vorwiegend repräsentative Funktionen zuwies. Sie beschloß Wahlen für 1993. Doch das Regime sabotierte den Demokratisierungsprozeß systematisch. All das, was bereits unter der Diktatur der 70er und 80er Jahre praktiziert wurde – Bestechung, Einschüchterung der Opposition bis hin zu gewaltsamen Übergriffen gegen ihre Vertreter, wurde auch nach 1990 fortgesetzt. Mobutu besetzte die Schaltstellen der Macht, Polizei-, Militär- und Geheimdienste, mit Verwandten oder Angehörigen seiner Ethnie der Ngbadi aus der Region Equateur. Unter dem Eindruck, daß ein friedlicher Übergang zur Demokratie seit 1992 blockiert blieb, und das nicht demokratisch legitimierte Übergangsparlament auch einen für 1997 angesetzten Wahltermin nicht einhalten wird, könnten die Erfolge einer Rebellenallianz die Hoffnung auf Systemwechsel schüren. Die zairische Oppositionspresse berichtet bereits, die Rebellen würden Verwaltungsbeamte und Militärs bezahlen.

Die Rolle Frankreichs in der Region ist unklar

Doch können die Rebellen weiterhin so schnell vorrücken? Reicht ihre militärische Stärke und Effizienz gegen die zairischen Eliteeinheiten und Söldnertruppen aus, die jetzt in der Provinzhauptstadt Kisangani in Stellung gegangen sind? Welche Rolle spielt Frankreich, das, so ein Gerücht, bereits zairische Truppen nach Kisangani geflogen haben soll? Und wie kann der Einfluß Ruandas und Ugandas bei der Unterstützung der Rebellen eingeschätzt werden?

An Kisangani, das die Rebellen bis Weihnachten eingenommen haben wollen, wird sich die nähere Zukunft Zaires entscheiden. Erleidet das Regime Mobutus hier erneut eine Niederlage, werden die bedrängten Militärs via Übergangsregierung wahrscheinlich versuchen, Kabila Verhandlungen anzubieten – um sich möglichst lange an der Macht zu halten. Wenn Kisangani dagegen erfolgreich verteidigt wird, rückt eine Abspaltung des Kivu oder Shabas in den Bereich des Möglichen.

Und Mobutu? Der während des Ost-West-Konflikts dem Westen treu ergebene Diktator galt auch nach 1990 noch als der Stabilitätsfaktor, der das Land als einziger zusammenhalten konnte. Dieser Mythos ist inzwischen wiederlegt. Mobutus Spaltungspolitik gegenüber der Opposition ist einer der Gründe für den Ausbruch des Konflikts im Kivu und für die Implosion des Riesenreiches. Vor wenigen Wochen noch wäre Mobutu bei seiner Rückkehr als Landesvater gefeiert worden. Die Stimmung, so berichten Reisende aus Kinshasa, ist umgeschlagen. Sollte der Präsident nun von seinem französischen Krankenbett aus zurückkehren, wird er auf Ablehnung treffen – die Stimmung der letzten fünfzehn Jahre.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen