Sonnenstrom aus cleverem Fensterglas

■ Schweizer Technologie könnte der Photovoltaik zum Durchbruch verhelfen

Berlin (taz) – Das farbige Glas in der Hand von Michael Grätzel könnte eine neue Ära für die Gewinnung von Elektrizität aus Sonnenenergie einläuten. Kaum klemmt der Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne einen kleinen Elektromotor an die Glasflächen und hält sie ins Licht, beginnt sich der Propeller zu drehen. Bemerkenswert an der von Grätzel vorgeführten „nanokristallinen Injektions-Solarzelle“ ist nicht nur, daß sie nach dem aus der Pflanzenwelt bekannten Prinzip der Photosynthese arbeitet. Vielmehr sind die für ihre Herstellung nötigen Ausgangsmaterialien wie Titandioxid im Vergleich zu den heute gebräuchlichen Solarzellen aus reinem Silizium preiswert und die Produktionstechnologie relativ einfach.

Die Systemkosten für ein Kilowatt Spitzenleistung (kWp) beziffert der Professor bei industrieller Herstellung auf etwa 3.000 Mark. Zum Vergleich: Derzeit bemüht sich Greenpeace mit einer großangelegten Kampagne, den Preis für eine herkömmliche Siliziumanlage mit 2 kWp Leistung auf 20.000 Mark zu drücken.

Aufs Dach geschraubte oder separat aufgestellte Anlagen hält der Direktor des Instituts für Photonik und Grenzflächen allerdings nicht für besonders erstrebenswert: „Die separaten Halterungen treiben die Systemkosten hoch, und die Ästhetik ist doch recht problematisch“, meint Grätzel. Da seine photovoltaischen Gläser auch durchsichtig gefertigt werden können, zieht er den Einsatz als Fensterglas vor.

Um die großtechnische Herstellung der Photozellen kümmert sich das Institut für angewandte Photovoltaik (Inap) in Gelsenkirchen. Das Inap mit seinen derzeit 13 Mitarbeitern wurde 1993 von Energieversorgern und Industriepartnern wie Flachglas eigens für die Weiterentwicklung der Grätzel-Zelle gegründet. „Wir werden voraussichtlich in drei bis fünf Jahren so weit sein, Zellen von einem Quadratmeter Größe zu fertigen“, glaubt Dieter Jestel, Abteilungsleiter der Verfahrensentwicklung. Prestigeträchtigstes Produkt: Eine australische Firma will das Olympiastadion von Sydney mit 2.000 Quadrametern der Schweizer Photozellen aus Polycarbonat überdachen.

Als entscheidenden technischen Vorteil der nanokristallinen Injektions-Solarzelle bezeichnet Grätzel, daß hier Lichtaufnahme, Ladungstrennung und Ladungstransport getrennt erfolgen. Die herkömmlichen Siliziumkristalle müßten diese Funktionen gleichzeitig erfüllen, was eine hohe Reinheit des Materials und damit einen großen technischen Aufwand erforderte. Anders bei den Schweizer Solarzellen: Auf eine Trägerschicht – in der Regel Glas – wird ein sehr feinteiliger (nanokristalliner) Titandioxid-Anstrich aufgetragen, der über eine immense innere Oberfläche verfügt und als Halbleiter dient. Auf den Halbleiter folgt eine Farbstoffschicht, wo der eigentliche photoelektrische Effekt stattfindet: Bei Lichteintritt werden Farbstoffmoleküle aus dem neutralen Grundzustand in einen angeregten Zustand versetzt, so daß sie Elektronen in den Halbleiter einschleusen. Durch weitere elektrochemische Prozesse gelangen die Elektronen schließlich in einen äußeren Stromkreis und können elektrische Arbeit verrichten. Stefan Schroeter