Rheinland-Pfalz droht Konkurs wegen AKW Mülheim-Kärlich

■ RWE will sieben Milliarden Mark einklagen, weil das Land vor 21 Jahren mit dem Energiekonzern kungelte

Karlsruhe (taz) – Der merkwürdigste Prozeß der deutschen AKW-Geschichte nähert sich einem vorläufigen Höhepunkt. Heute wird der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über eine Schadenersatzklage des Stromkonzerns RWE gegen das Land Rheinland-Pfalz verhandeln. RWE will mit mindestens 7 Milliarden Mark entschädigt werden, weil das Land 1975 den RWE- Reaktor Mülheim-Kärlich ohne ausreichend geprüfte Erdbebensicherheit genehmigt hatte.

Helmut Kohl hieß der Pfälzer Landesvater zu Beginn der 70er Jahre, und er wollte unbedingt mehrere Atomkraftwerke in Rheinland-Pfalz errichten. Das erste Projekt hieß Mülheim-Kärlich, gelegen zwischen Koblenz und Neuwied. Allerdings entdeckten die PlanerInnen erst nach Beginn des Genehmigungsverfahrens, daß das Reaktorgebäude genau auf einer geologisch bedenklichen Erdfalte errichtet werden sollte. Schnell einigten sich RWE und das Land auf eine Verschiebung des Kraftwerks um 30 Meter nach Norden. Dort aber war der Platz so eng, daß Reaktor und Maschinenhaus baulich getrennt und durch Rohrleitungsbrücken verbunden werden mußten – eine besonders störanfällige Konstruktion. Genehmigt wurde das AKW (der Einfachheit halber) jedoch nach den alten Plänen.

Nach 13jähriger Prozeßgeschichte kassierte 1988 das Bundesverwaltungsgericht in Berlin diese „Erste Teilerrichtungsgenehmigung“. Seither steht der Reaktor, der insgesamt nur elf Monate lang Vollast lieferte, still. Denn auch eine Anfang der 90er Jahre nachgeschobene neue „Erste Teilerrichtungsgenehmigung“ fand nicht den Segen der Gerichte. Zuletzt entschied das Oberverwaltungsgericht Koblenz, daß die Erdbebengefahr am Standort Mülheim-Kärlich nicht ausreichend geprüft worden war.

RWE muß also damit rechnen, auf seinem Milliarden Mark teuren Reaktor sitzenzubleiben und will die Errichtungskosten (plus entgangener Gewinne) nun per Schadenersatzklage gern dem Land aufhalsen. Als Amtspflichtverletzung der Regierung sieht der Stromkonzern ausgerechnet die Kungelei im Vorfeld der ersten Teilgenehmigung – an der RWE nun wahrlich nicht unbeteiligt war.

Zum Erstaunen vieler JuristInnen hatte der Essener Konzern mit dieser Argumentation schon in zwei Instanzen erheblichen Erfolg. Das Oberlandesgericht Koblenz ordnete eine Schadensteilung zwischen Land und RWE an. Unter dem Strich stünde das Land Rheinland-Pfalz aber immer noch mit 3,5 Milliarden Mark bei RWE in der Kreide – vorausgesetzt, daß RWE im nachfolgenden Verfahren um die Höhe des Anspruchs tatsächlich einen Schaden von sieben Milliarden beweisen kann. Zum Vergleich: Der Landeshaushalt hat nur ein Volumen von rund 20 Milliarden Mark.

Die Pfälzer Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) wies alle Spekulationen zurück, daß es zu Kompensationsgeschäften mit RWE kommen könne. Der Spiegel hatte vor geraumer Zeit gemutmaßt, daß RWE bei einem Verzicht auf die Schadenersatzklage mit lukrativen Geschäften im Müll-, Abwasser- und Wassergeschäft des Landes rechnen könne.

Heikel ist die Situation für Martini aber auf jeden Fall. Ausgerechnet die sich atomkritisch gebende SPD/FDP-Landesregierung muß nun beweisen, daß die Mauscheleien der christdemokratischen Vorgänger noch „vertretbar“ waren. Das Urteil wird eventuell erst zu Beginn des kommenden Jahres fallen. Gewinnen werden auf jeden Fall die Anwälte: Bei einem offiziellen Streitwert von 1,5 Milliarden Mark beträgt ihr Honorar laut Gebührenordnung etwa 17 Millionen Mark. Christian Rath