: „Die im Knast verstehen einen, und man läßt sich so mitziehen“
■ Die Bremer „Ambulante Hilfe für junge Haftentlassene“ wird heute 10: Ehemalige Knackis lernen Wohnung suchen, Schulden regulieren und Alltag
„In zwei Monaten läuft meine Bewährung ab. Ich bin froh, daß ich seit zwei Jahren keinen Mist mehr gebaut habe. Solange am Stück war ich schon lange nicht mehr draußen“, sagt Dieter N. Nach einer „klassischen“ Knastkarriere, die er mit 18 Jahren begann, versucht der 25-jährige jetzt, auf eigenen Füßen zu stehen. Unterstützt wird er dabei von den Sozialarbeitern der „Ambulanten Hilfe für junge Haftentlassene“.
Dieses Projekt der Hans-Wendt-Stiftung, das heute sein 10-jähriges feiert, wurde einst von engagierten AnwältInnen, SozialarbeiterInnen und MitarbeiterInnen der Justizvollzugsanstalt gegründet. Die Ini-tiatorInnen wollten damit den „Drehtüreneffekt“ – die erneute Inhaftierung kurz nach der Haftentlassung – stoppen. Gerade junge Männer, so die Erfahrung, werden, wenn sie aus dem Knast kommen, relativ bald wieder rückfällig, weil sie keine Ausbildung haben, aus schwierigen Familien kommen und keine festen Bezüge haben.
Dieter war 15, als er die Schule schmiß. Davor lebte er lange im Heim, bis sein Onkel ihn bei sich aufnahm. Doch dort hielt er es nicht lange aus, „und dann ging es los“, erzählt er. „Alles, womit ich Geld machen konnte, Urkundenfälschung, Autodiebstahl und so.“ Mit 18 in Untersuchungshaft, dann der Versuch, eine überbetriebliche Ausbildung zu machen. Aber weil er sich nicht an die Regeln hielt, flog er raus und lebte mehr oder weniger auf der Straße. Das Karussell drehte sich weiter: Einbrüche, Diebstähle, das zweite Mal Jugendvollzugsanstalt. „Wenn man mal im Knast war, fühlt man sich zu den Leuten hingezogen, die auch drin waren. Die verstehen einen, weil sie dasselbe erlebt haben. Und man läßt sich dann so mitziehen.“
Als Dieter vor zwei Jahren aus seinem inzwischen dritten Knastaufenthalt entlassen werden sollte, bekam er den Tip, sich an die „Ambulante Hilfe für junge Strafentlassene“ zu wenden. Seitdem, so sagt er, geht's aufwärts. „Immer wenn ich Probleme habe, kann ich Holger anrufen, der ist für mich da.“ Zuerst suchte Holger Ahrens, Sozialarbeiter bei der Ambulanten Hilfe, mit Dieter eine Wohnung und kümmerte sich um eine Schuldenregulierung. „Das wichtigste ist, eine Beziehung zu den jungen Männern herzustellen. Die brauchen die Sicherheit, daß wir sie nicht im Stich lassen“, sagt Ahrens.
Das Besondere am Konzept der Ambulanten Hilfe: Sozialarbeiter und Klient können sich erst mal beschnuppern und dann entscheiden, ob sie miteinander „können“ oder nicht. Wenn nicht, werden die Strafentlassenen in andere Angebote vermittelt. Wenn ja, dann garantiert die Ambulante Hilfe eine zweijährige Betreuung, mit einem einseitigen Kündigungsrecht. Das heißt, daß die Klienten die Betreuung aufkündigen können, nicht aber die Sozialarbeiter. „Daß jemand für sie da ist und sie nicht rausschmeißt, auch wenn sie mal Scheiße bauen, ist für die meisten eine neue Erfahrung“, berichtet Ahrens. Die Betreuung findet in der Wohnung der jungen Männer, und nicht in einem Büro, statt. Ahrens: „Die Wohnung bietet ihnen die dringend benötigte Sicherheit. Außerdem besprechen wir hier allen Alltagskram oder regeln Konflikte mit den Nachbarn.“
Insgesamt acht Männer zwischen 18 und 25 Jahren werden von der Ambulanten Hilfe betreut, viele waren obdachlos, einige sind drogenabhängig. Die Sozialarbeiter wollen ihnen vermitteln, was zu einem „ganz normalen“ Alltag gehört. „Die sind mit 18 oft wie Kinder, die noch nicht gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen.“ Deshalb, so Ahrens, übt er mit ihnen Einkaufen, Kochen, Geld einteilen. Einige will er einfach vor der völligen Verwahrlosung bewahren, da sind zwei Jahre betreutes Wohnen allemal besser als der Knast, so der Sozialarbeiter. Circa 50 Prozent der Betreuten werden rückfällig, ein Ergebnis, auf das die Ambulante Hilfe, die sich über Pflegesätze finanziert, stolz ist.
Beate Hoffmann
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