Zwischen den Rillen
: Liebe geht durch den Sampler

■ Er kann Technik, sie zeigt Emotion – auch bei Elektronikduos wie Lamb

Ein junger Mann und eine junge Frau stehen nebeneinander im Freien, er seitlich, sie frontal zur Kamera. Die Oberkörper sind nackt, die weißen Unterhosen gucken oben raus. Beide sind dürr. Sie verdeckt mit den Händen ihre Brüste. Ein Paar, geboren aus dem Geiste einer Calvin-Klein-Kampagne, eine Ikone des wahrlich nicht lustigen Slacker-Hackertums unserer Zeit. Sie heißt Louise Rhodes, er Andrew Barlow. Sie kommen aus England. Zusammen nennen sie sich Lamb. Ihre Musik changiert zwischen TripHop und Drum 'n' Bass, es darf sich aber auch ein beatloser Nachtgesang einschleichen. Den Gesang – man muß es kaum erwähnen – übernimmt Frau Rhodes.

Im musikalischen Bereich, in dem sich Lamb bewegen, ist in den letzten Jahren eine Reihe von Projekten entstanden, in denen innerhalb einer Zweierkonstellation Frauen als Stimme auftauchen und die Männer die sprachlose, technische Seite übernehmen. Portishead, Moloko, Tricky mit Sängerin Martina sind Beispiele dafür. Aber auch Einzelkünstlerinnen wie Björk oder Nicolette bedienen sich der technischen Fertigkeiten unterschiedlicher Produzenten. Im Vergleich zu den historischen Vorbildern wie Ike & Tina, Nancy & Lee, Sonny & Cher sind die neuen Projekte reine Zweckbündnisse. Nicht die Liebe schmiedet hier den Song, sondern der Sampler die Beziehung. Es ist deswegen recht bezeichnend (auch im Hinblick auf die kürzlich durch die Lifestyle-Presse geisternden Berichte über die angeblich wachsende Attraktivität platonischer Liebe unter jungen Leuten), daß in den Credits zu ihrer gemeinsamen Platte Barlow seine Partnerin „spirited sister“ und Rhodes ihn „my cosmic brother“ nennt. Da muß etwas Besonderes passiert sein seit ihrem ersten telefonischen Kontakt. Da fiel Barlow nämlich nichts anderes ein, als sich als erstes danach zu erkundigen, ob sie gut aussehe. Rhodes hat die Zähne zusammengebissen, „Was für ein Arschloch!“ gedacht und nicht aufgelegt.

Bei einem kürzlich von einer englischen Zeitschrift veranstalteten Round-table-Gespräch mit den „female voices in dance music“ wurde auch von Louise Rhodes moniert, daß das Geschehen in Klubs und Studios ein Jungsding ist, aber die Frauen deswegen die große Chance hätten, in die technologisierten Ghettos der blassen Knöpfchendreher die Emotionalität einzubringen. Ist das Selbstbescheidung oder was? Von außen ist – auch weil das nicht offengelegt wird – schwer zu beurteilen, ob in einer solchen Arbeitsbeziehung die Rollenverteilung der herkömmlichen Ordnung entspricht. Zu befürchten ist aber, daß eine musikalische Szene, nämlich die neuer elektronischer Tanzmusik, noch lange geprägt sein wird von männlicher Hegemonie im Produktionssektor. Und die mediale Verwertung wie üblich über den Weg der Ausbeutung „weiblicher“ Attribute (Emotion, Gesang, Schönheit) erfolgt.

Trotzdem scheinen sich in diesem alten Gegensatz neue Akzente herauszubilden. Die ersten Chartserfolge einer neuen, in der Produktion vollkommen digitalisierten Musik wie Drum 'n' Bass gelangen zwar bisher nur mit der Hilfe weiblicher Stimmen (Everything But The Girl, Alex Reece mit der Sängerin Deborah Anderson). Zwischen Andrew Barlow, der in der britischen Produzentenszene als technological whizz kid gilt, und Louise Rhodes, die als Fotografin u.a. für den New Musical Express arbeitet, spielen sich dennoch interessante Dialoge ab. Ihre Texte kreisen immer um Liebe, körperliche Nähe, Verlangen und Wärme; ihr Gesang ist expressiv, energetisch, ihre Stimme schlägt oft um in Kopflagen. Im Stück „Cotton Wool“ singt sie von der weichen Baumwolle, in die sie den/die LiebsteN wickeln möchte. Darunter legt Barlow einen splittrig gebrochenen Beat, als wolle er das von Rhodes offensiv vermittelte Verlangen, ihre Offenheit, Paar à la Calvin Klein: LambFoto: Mercury

konterkarieren mit einer hermetischen, hochkomplizierten Textur zerstörter Beats und zusammenbrechender Sounds. In „Zero“ singt Rhodes die Textzeile „I'd give everything to give you life“, wobei sie das „life“ stark betont und oft wiederholt. Sie wird dabei nur von einigen Streichinstrumenten begleitet. Danach folgt aber gleich ein Instrumentaltrack, der einzige des Albums. Barlows relativ geringe Präsenz im vorangegangenen Stück wird also gleich kompensiert mit einer treibenden, technoiden Solonummer.

Klar ist, daß solche Interpretationen auf Zuschreibungen basieren, die sie eigentlich kritisieren wollen. Musik wird so leicht auf ein bloß exemplarisches Level gebracht. Bei allen Bedenken gegenüber der geschilderten Entwicklung aktueller Dancemusic und der in sie weiterhin eingeschriebenen Dichotomie weiblicher/männlicher Eigenschaften betreffen – das Debüt von Lamb ist eine technisch ausgefeilte Platte, die ihre Technizität im Gegensatz zu den „humanen“ Inhalten beläßt, von denen die Texte handeln

Dabei machen Barlow und Rhodes den Eindruck – und das wäre ihre Qualität –, als wüßten sie davon. Martin Pesch

Lamb: „Lamb“ (Mercury)