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Wand und BodenPop-art als Pop-science

■ Kunst in Berlin jetzt: (e.) Twin Gabriel, Bigert & Bergström, Giò Di Sera, Herlinde Koelbl

Bei den fünf grünleuchtenden Wassertanks, die (e.) Twin Gabriel im Neuen Berliner Kunstverein auf Sockel aus weißem Dekor-Ytongstein gestellt haben, handelt es sich keineswegs um minimalistische Skulpturen. Entgegen dem Anschein, dem der Ausstellungstitel „Limonade. Von Afrika“ zuarbeitet, sind es vielmehr Aquarien, wie sie der Berliner Zoo zur Planktonzucht benutzt. Für das fruchtige Grün, das sie in ihren Wasserbecken produzieren, möchte man Afrikas Algen mögen. Sie sind großartige Ästheten. Um den Laboratoriumsaufbau herum zieht sich ein Fries bunter Computerausdrucke die Wände entlang. Deutsche Texte in Schreibmaschinentypographie, emblematische Zeichnungen und Collagen von Tieren, Pflanzen und menschlichen Artefakten wechseln sich ab. Ein sich in der symbolischen Ordnung des Westens etwas ungelenk bewegender Mensch stellt in den Texten fest, daß die Elfenbeinküste etwa „35% oder 40% Einwohner“ hat, oder: „Französisch ist eine Kolonie Sprache.“ Die Neudefinition der Pop-art erfolgt als Pop-science. Think global, act local: Im Katalog erfährt man, daß ein Flohmarktfund, bestehend aus zwei Aktenordnern mit Schwarzweißkopien dieser Texte und Bilder, für die Ausstellung titelgebend wurde. Die Fotokopien haben (e.) Twin Gabriel eingefärbt: „Über Zeichnungen und Texte wurden mittels nicht besonders moderner Computertechnik Farbkübel umgestoßen“, spielen sie die Sache herunter. Aber es ist spürbar, daß sie die Aneignung des Fremden mit großer Sorgfalt und Rücksicht auf das Material angegangen sind. Und mit Genuß. „Limonade. Von Afrika“ klingt zu Recht ziemlich einladend.

Bis 12.1., Di.–Fr. 12–18, Sa., So. 12–16 Uhr, Chausseestr. 128/129

Auch das „Bubblegum Pink“, das genauso rosarot ist, wie der Name sagt, ist weniger dem Pop gedankt als dem Scientific Engineering. In amerikanischen Gefängnissen wird Bubblegum Pink als Wandfarbe für die Zellen besonders aggressiver Häftlinge benutzt. Es soll eine entspannende Wirkung haben. Bigert&Bergström haben nun bei Gebauer& Thumm ein „Bubblegum Pink Chamber“ eingerichtet, in dem man die Probe aufs Exempel machen kann. Rosaroter Fußboden, rosarote Schaumstoffwände, rosarote Decke und ein rosaroter Deckenventilator (übrigens aus der Paris Bar entliehen): Für fünf Minuten fühlt man sich hier tatsächlich ganz wohlig. Im Raum davor ist die „T-Group“ versammelt. Eine Videoinstallation zeigt auf fünf Monitoren fünf verschiedene Papageien, die sich vor einem pinkfarbenen Hintergrund aufplustern, während über ihren Köpfen ein computergenerierter Heiligenschein aus Sternen rotiert. „It's terrible, it's terrible“, stöhnt einer der Exoten. Würde er „it's perfect, it's perfect“ krächzen, hätte er auch recht. Denn Bigert &Bergström arbeiten extrem akkurat. Daß die Sache nicht ins rosarote Design abkippt, verdankt sich einer schwarzen Wandzeichnung. Das abgebrannte Zündschnurgeknäuel, die Gewalt, die den Aufenthalt im zähen Pink nach sich zieht, ist nur noch ein Schemen an der Wand, merkwürdigerweise aber auch der Ariadne-Faden zurück in die Realität. Heraus aus dem rosaroten Wahnsinn, zurück in die Aggression. Angenehm.

Bis 3.1., Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr, Torstraße 220

Auch Giò Di Sera ist ein Perfektionist. Unter dem Titel „Nineties Classics“ sind seine folkloristischen Assemblagen derzeit in der Galerie Wolf zu sehen. Neben der Buchstabensuppe ist die (Plastik-)Zitrone das bevorzugte Recyclingobjekt seiner sorgfältig montierten Bildtafeln. Giò Di Sera, autodidaktischer Künstler, DeeJay Don Rispetto, Posse-Gründer und Jugendarbeiter, hat sich 1985 aus dem Desaster Neapels nach Berlin gerettet. Die Zitrone, das ist nicht schwer zu erraten, steht für den Künstler als Sinnbild für den heimatlichen sonnigen Süden, aber auch für den Mezzogiorno als Verhängnis. Als spezifisch katholisches Verhängnis, wie die Bilderparabel von der „Versuchung der Heiligen Zitrone“ andeutet. Auch der „Natural Born Artist“, der Di Sera zweifellos ist, gibt dem Jesuskind einen Heiligenschein aus Zitronen. Weniger einfach zu dechiffrieren ist Di Seras „Pepolone“-Figur, eine serielle, aus verschiedenfarbigem Sperrholz hergestellte Umrißfigur. In Massen läßt sich die Figur zu neuen Figuren zusammenstecken, etwa der berühmten Kitsch-Ikone „Herz Jesu“, die ein rotes Herz mit einer gelben Flamme krönt. Sein Herz aus roten und gelben Pepolones macht klar, was Di Sera intendiert: die neue Ikone zum problematischen Verhältnis von Individuum und Masse – one / people / one.

Bis 21.12., Di.–Fr. 12–19, Sa. 12–16 Uhr, Großbeerenstraße 36

Was bei „Starke Frauen“ auffällt, dem umfangreichen Fotoprojekt über umfangreiche Frauen, das Herlinde Koelbl bei Tammen&Busch zeigt: Ständig ist von den Männern die Rede. Gleich am Anfang wird ein Graffito zitiert, das behauptet, in einer Welt ohne Männer gäbe es nur dicke glückliche Frauen. Am Ende wird über sie allerdings gesagt, weil sie „den geheimen (und zensierten) Wünschen der meisten Männer entgegenkommen, haben sie Grund, zu strahlen und stolz zu sein“. Was denn nun? Daß soviel von den Männern die Rede ist, hat dennoch seinen guten Grund. Die „dicken Damen“ gehören in den Bereich fetischistischer Sexualität. So sah es wohl zu Recht deren Liebhaber, der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer. Fe/male Perversions: Manche brauchen Latex, andere brauchen Fett. Was die Fotografien selbst angeht, so stellt sich heraus, daß bei den schwergewichtigen Frauen gar nicht so viel zu holen ist. Zuviel Hintern ist wie zuwenig Hintern – der Körper als plastisch modellierte Figur geht verloren. Dabei versucht Herlinde Koelbl ihr Möglichstes. Aber der Bruch zwischen den plumpen Körpern und den allesamt wunderschönen Gesichtern ihrer Modelle läßt sich nicht überspielen. Wenn Günther Nenning recht hat mit der „Frau als Kugel“, dann wundert es nicht, daß Koelbl nur vergleichsweise wenige gute Fotos gelingen konnten. Es war das Ei und nicht die Kugel, was die Fotografen immer faszinierte.

Bis 2.2., Di.–Fr. 13–18, Sa. 11–14, So. 15–18 Uhr; Fidicinstraße 40 Brigitte Werneburg

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