Mißtrauen gegen die alte Heimat

Hunderttausende ruandische Flüchtlinge in Tansania haben sich auf den Weg gemacht – aber nicht in Richtung Heimat. Ihnen steht ein Konflikt mit der tansanischen Armee bevor  ■ Aus Ngara Andrea König

Die Hilfsorganisationen stehen unter Schock: Sie hatten alles für eine geordnete Heimkehr vorbereitet, und plötzlich strömen die ruandischen Flüchtlinge im benachbarten Tansania wie auf Befehl aus ihren Camps – nicht über die asphaltierte Straße Richtung Ruanda, sondern über einen Feldweg gen Süden, weg von der Grenze. Anfangs waren es ein paar tausend, im Laufe des Donnerstag wird deutlich, daß sich die Lager von Ngara im Nordwesten Tansanias leeren. Ein weißer Geländewagen des UN- Flüchtlingshilfswerks steht am Straßenrand, der Fahrer steigt aus und beobachtet den Menschenstrom, der sich durch die grünen Hügel der Umgebung zieht: „Sie gehen in den Busch“, sagt der Tansanier ungläubig. Sein Funkgerät weckt ihn aus seiner Trance. „Auch Benako packt“, plärrt eine Stimme. Der Strom verliert sich am Horizont. Bis dahin hatten sich zwei Lager um Ngara geleert, nun geht auch Benako.

Eine mittelgroße afrikanische Stadt schmiegt sich an den langgezogenen, sanft geschwungenen Hügel, Benako ist das größte Flüchtlingslager im tansanisch-ruandischen Grenzgebiet. Bereits im April 1994, noch während der Massaker in Ruanda, waren die ersten Hutu nach Tansania geflüchtet. Alphonse zum Beispiel. Er ist halb Hutu und halb Tutsi. „35 meiner Familienmitglieder sind gestorben, die einen durch die Ruandische Patriotische Front, die andern durch die Hutu-Milizen. Sie töteten beide gleich.“ Lust, nach Ruanda heimzukehren, verspürt er keine, er mißtraut allen.

Am Mittag noch sind die Straßen von Benako geschäftig, voll mit Menschen, die zielstrebig irgendwohin gehen. Auf den gußeisernen Rosten schmoren Brochette, Ziegenfleischspieße, das Restaurant de la Paix ist geöffnet. Ein paar Betrunkene stehen davor und gucken dumpf auf die Straße. Nichts weist auf einen Massenauszug aus Benako hin. Alfred, einer der 160.000 Bewohner von Benako, er stammt aus der Region von Kibungo im Südosten Ruandas, rund 60 Kilometer von Benako, warnt aber: „Die Stimmung ist geladen. Wir leben in großer Unsicherheit.“ Aggression schlägt Besuchern entgegen, junge Männer dominieren das Straßenbild, sie bestimmen, wer sich in ihrer Straße aufhalten darf und welche Fragen beantwortet werden.

Nach dem Massenexodus der ruandischen Flüchtlinge aus Zaire hat die tansanische Regierung den Flüchtlingen bis zum 31. Dezember Zeit gegeben, die Lager zu räumen und nach Ruanda zurückzukehren. Seit letztem Montag verteilt das Welternährungsprogramm WFP Rationen in den Lagern von Ngara. Bewußt habe man nur noch eine Ration für vierzehn Tage verteilt, damit die Flüchtlinge gerade genug zu Essen hätten, bis sie ihre Heimat erreichten. Die Verteilungen endeten in den letzten zwei Tagen in Plünderungen, ruandische Hilfskräfte traten in den Ausstand, um die Auszahlung ihrer Löhne sofort zu erzwingen.

Bereits vor einer Woche hatte sich das Flüchtlingslager von Karagwe auf und davongemacht, über Nacht. Für die tansanische Regierung ist der Fall klar. General Msuya, Kommandant der militärischen Aktion der tansanischen Armee in Ngara, bringt es auf den Punkt: „Wenn die Flüchtlinge ihre Camps verlassen, verlieren sie ihren Status als Flüchtlinge. Wir werden sie wie illegale Einwanderer behandeln, wenn wir sie erwischen, werden sie sofort abgeschoben.“ Tatsächlich hat die tansanische Armee gestern begonnen, Straßensperren zu errichten und die Flüchtlinge zu stoppen. Zehntausende wurden in die Lager zurückgeschickt.

Die Flüchtlinge in Benako haben Angst und wollen wissen, wie es in Ruanda wirklich ist. In den Lagern um Ngara dampft die Gerüchteküche: Dem UNHCR, das in den letzten Tagen mehr Flüchtlinge repatriiert hat als im gesamten Jahr zuvor, wird vorgeworfen, jenseits der Grenze Familien zu trennen und die Männer und Knaben mitsamt den Bussen in Flüsse zu kippen. Der Akagera-Fluß sei voller Leichen. Jeder im Lager will in der US-Radiostation Voice of America gehört haben, daß Hunderte von Frauen und Kindern massakriert wurden. Argumente und Zahlen können die Flüchtlinge nicht überzeugen.