■ Ökolumne
: Euro-Schlitzohren Von Werner Raith

Das Gespenst, das umgeht in Europa, heißt nicht Kommunismus — es trägt den Namen „Mittelmeer-Schiene“ und ist zum Alptraum all jener geworden, die etwas von Haushaltsansätzen, Inflationsraten und Staatsverschuldungen verstehen. Selbst der sitzgewohnte Kanzler der Deutschen wird mittlerweile unruhig, wenn ihn Bundesbankchef Hans Tietmeyer mit der Mittelmeer- Schiene malträtiert. Die südlichen EU- Länder nämlich, Portugal, Spanien, Italien und selbst Griechenland seit dem Wahlerfolg des Euro-Predigers Simitis zeigen sich wildentschlossen, schon bei der ersten Euro-Gruppe dabeizusein. Und so skurril es klingt — wirksamster Hebel sind nun ausgerechnet jene Paramater, mit denen die „starken“ Länder vor fünf Jahren Barrieren gegen bilanzschwache, überschuldete oder inflationsgeplagte Länder aufrichten wollten.

Nachdem sich Kohl und Chirac gegen jede Aufweichung der ökonomischen Eingangskriterien und gegen eine Verschiebung der Euro-Einführung 1999 ausgesprochen haben, schalten die „hoffnungslosen Fälle“ um — auf den Griff in die Trickkiste. Trendsetter ist wieder einmal das superflexible Italien. Dabei zeigt sich, wie gut die neuen Eierköpfe der Mitte-Links-Regierung Romano Prodis sind. Gewohnt, daß man bei Vorschriften sowieso nicht deren Anwendung, sondern deren Lücken suchen soll, haben sie erkannt, daß es bei Maastricht weniger darauf ankommt, wie ein Land dasteht — sondern wie es sich darstellt.

Nun waren Italiens Haushaltsmacher seit jeher Weltmeister im Bilanzfälschen — berühmtester Coup, viele Jahre angewandt, war die Kündigung zehntausender unkündbarer Staatsbeamter zum Jahresende, wodurch deren Salär und Arbeitsplätze im kommenden Haushalt einfach weg waren. Am 2. Januar wurden sie, „weil rechtlich leider nicht haltbar“, wieder eingestellt. Die Abrechnung erfolgte im Nachtragshaushalt, meist über Steuererhöhungen.

Mit solchen Methoden hantiert nun auch Prodi: Obwohl das Haushaltsgesetz 1997 schon seit Wochen im Parlament beraten wird, vernebelt die Regierungskoalition mit einem Feuerwerk unentwirrbarer Steueransätze, Einmalabgaben, zu hoch angesetzter Einnahmen und zu geringer Ausgaben das Volk und das Ausland. Neue Abgaben werden erfunden, dem Haushalt zugeschlagen und tags danach wieder gestrichen — und bleiben dennoch im Haushaltsansatz; Steuern werden auf nationaler Ebene hinaufgesetzt und auf kommunaler wieder weggestrichen und umgekehrt, Pensionen angeblich nicht angetastet, dafür aber die Renter zur Krankengeldkasse gebeten. Auf jeden Fall steht am Ende wieder ein „europa-adäquater Haushalt“. Bundesfinanzminister Waigel ist längst aus der Kurve geflogen — mal findet er Italien „europauntauglich“, dann wieder „auf dem richtigen Weg“. Selbst Frankreichs Italo-Feind Chirac mußte erkennen, daß die Daten von neun Uhr morgens, mit denen er seine Invektive gegen Italien startete, bei seiner Rede um elf Uhr längst überholt waren und Italiens Prodi ihn kopfschüttelnd fragen konnte, wer ihn denn „derart falsch“ informiere. Chirac, der selten ins Stottern kommt, nahm alles zurück — und merkte erst zuhause, daß die neuen Daten nur für die Zeit seines Aufenthalts gegolten hatten.

Daß Italiens Haushalt auch diesmal unseriös sein wird, weiß jeder Drittkläßler der Handelsschule, doch die Administration sorgt bereits vor: sollten Tietmeyer und andere herummosern, haben sie eine ansehnliche Liste von Gegenattacken vorbereitet. Ziel: Die Brüssel-Europäer sollen gezwungen werden, sich nicht auf eigene Recherchen, sondern auf die Angaben aus den jeweiligen Landesregierungen zu verlassen. Dann reicht es, die letzten beiden Haushalte vor der großen Euro-Konferenz Anfang 1998 schönzurechnen, und man ist drin; es folgt der Nachtragshaushalt.

Die Frage ist daher längst nicht mehr, wie die einzelnen Staaten in den Euro hineinkommen — sondern was sie dann darin sollen. Ihre Wirtschaft wird ja nicht stärker, sondern eher schwächer durch den Wegfall einer eigenen Geldpolitik, ihre Abhängigkeit von der großen Staaten größer und die soziale und politische Unzufriedenheit in ihren Ländern entsprechend stärker. Die Zeitbombe, die sich die EU mit Maastricht gelegt hat, wird mit dem Euro gefährlicher als vorher.