Akte der Rache

■ Mit „Bloody Nathan“ schnitzte Joshua Sobol ein pessimistisches Bild / Deutsche Erstaufführung im Bremer Brauhauskeller

Anstrengende Angelegenheiten verlegt das Bremer Theater gern in den Keller des alten Brauhauses an der Bleicherstraße. Denn drunten im Gewölbe aus rotem Backstein hallt das Wort so von den Wänden wider, daß ein Schrei tatsächlich ein Schrei und ein Flüstern etwas Konspiratives ist. Schauspieler und Zuseher werden in diesen Räumen zu einer verschworenen Gemeinschaft, und weil hier fast von allein eine Art Magie entsteht, ist Anstrengendes wie etwa die am Freitag abend vollzogene deutsche Erstaufführung „Bloody Nathan“ des israelischen Dramatikers und Provokateurs Joshua Sobol in diesem Keller schon gleich etwas weniger anstrengend.

Im Zeitalter der deutschen Aufklärung erfand Gotthold Ephraim Lessing ein positives, zu neudeutsch geradezu megapositives Gegenbild zu Shakespeares Shylock namens Nathan. Landauf, landab machte dieses dramatische Gedicht vom guten Juden von Jerusalem so viel Eindruck, daß ungezählte deutsche Staatsbürger jüdischer Religion den Nachnamen seines Erfinders annahmen. Doch spätestens im 20. Jahrhundert wurde der Lessing – wie soll man's sagen – von deutscher Hand für alle Ewigkeit widerlegt. Hitlers willige Vollstrecker mordeten mit den Menschen auch die Utopie von Toleranz und Assimilation dahin. Und weil der Haß auch anderswo und immer noch ein starker Faktor ist, verwandelte der 1939 in Israel geborene Joshua Sobol anno 1996 seine Schreibfeder in ein Schwert und schnitt seinen theatralen Racheakt „Bloody Nathan“ aus der Wirklichkeit.

Doppeldeutig ist der Titel des Stückes, der sich schlicht als „blutiger Nathan“ und zugleich als Beschimpfung „verdammter Nathan“ übersetzen läßt. Vieldeutig bis metaphorisch verschwiemelt kommt dagegen der Inhalt daher: Ein entführter – wie sich herausstellt – Schauspieler sitzt gefesselt auf einem Stuhl. Er wird abwechselnd bewacht von einem Terroristenpärchen – von einem Mann, der ihn nicht versteht, und einer Frau, die seiner Sprache mächtig ist, ihm aber nicht zuhören will. Schauplatz ist das bald von Soldaten umstellte Haus eines alten Mannes, der als unfreiwilliger Komplize der Terroristen mindestens ebenso gefangen ist wie das übrige Personal.

Mit „Bloody Nathan“ läutet der durch das Drama „Ghetto“ hochberühmte und für seine Staatsgründungssaga „Das Dorf“ spät auch in Israel gefeierte Joshua Sobol zur Ratestunde. Der Einakter wirkt anfangs geradezu beckettesk oder Sartre'sch als Drama über die Gefangenschaft an sich; Epochen und ethnische Zugehörigkeiten verschwimmen zunächst, und auch der neue Bremer Chefdramaturg Joachim Lux, der das Stück ohne Dramaturgenhilfe inszenierte, trägt zu keiner verfrühten Klarheit bei. Im Brauhauskellerbühnenbild aus drei türkisblauen Rahmen und dunklem, den Boden bedeckenden Granulat (Ausstattung: Angelika Winter) schält sich erst langsam heraus, worum es geht: Um keinen Psycho-Strip, sondern um eine Entblätterung von Thesen und den Theaterfiguren, die sie verkörpern.

Denn Sobol versteckt in seinem verästelten und verrätselten Text nicht weniger als eine politische Provokation: Der Schauplatz entpuppt sich als ein Haus irgendwo im Westjordan-Land, das Terroristenpaar und der alte Mann sind eindeutig Palästinenser und der entführte Schauspieler gibt sich in der Schlüsselszene als Anhänger der israelischen Peace-Now-Bewegung zu erkennen, dem der letzte Rest Idealismus schließlich ausgetrieben wird. Halb Kolportage, halb Traktat demontiert das Stück jede Hoffnung, bis schließlich vier Tote auf der Bühne liegen.

Mit der Entscheidung, die Gefangenschaft des Schauspielers durch unsichtbare Fesseln zu stilisieren, verwischt der Regisseur Joachim Lux die ausgerechnet mit einer Verballhornung von Lessings Ringparabel einsetzende deutliche Wendung. Doch unter seiner ansonsten grundsoliden Regiearbeit erspielen sich Gabriela Maria Schmeide, Andreas Herrmann, Sven Lehmann, Lutz Lukasz und Marian Wagner das Menschenmögliche aus den zu Thesenträgern gemachten Figuren.

Sobol geht es nicht ums Ergründen von Motiven und Seelentiefen, sondern er wirft sein zutiefst pessimistisches Stück vom Sieg des Hasses und der Intoleranz einer Welt um die Ohren, in der alles Gute längst ungezählte Male gesagt ist.

Eigentlich gehört das Stück statt in den Bremer Brauhauskeller in den Nahen Osten; doch dort müht man sich derzeit, Sobols bitterem Bild zu entsprechen.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 19. und 21.12., 9. und 16.1. um 20.30 Uhr