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Nur 70 Prozent Krankengeld?

■ Kürzungen beim Krankengeld treiben Kleinverdiener unters Existenzminimum – Metall-Arbeitgeber lehnen Tarifzuschlag ab

Am vergangenen Freitag, dem 13., vertagten sich die Tarifparteien Metall-Küste. Ein schwarzer Freitag für alle Langzeitkranken aus Metall-Betrieben in der Region. Hakte doch die Einigung in den Verhandlungen zwischen IG-Metall und den Arbeitgebern Unterweser-Küste an einem einzigen Punkt. Einem Zuschlag aufs Krankengeld.

Laut Beschluß der Bundesregierung gibt es ab dem 1. Oktober 1996 nur noch 70 statt 80 Prozent Krankengeld. Dieser Teil des berüchtigten Bonner Sparpakets bedeutet für viele ArbeitnehmerInnen mit kleinem Einkommen ab der sechsten Krankheitswoche eine Rutschpartie unters Existenzminimum. Wenn nicht schon die zwanzigprozentige Kürzung der Lohnfortzahlung dafür sorgt.

In der Begründung der Bundesregierung heißt es nur lapidar, die notwendige Existenzsicherung werde nicht beeinträchtigt. In einer Veröffentlichung des Sozialforschers Dietrich Engels vom Kölner Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik steht dagegen zu lesen: „Dies erscheint zweifelhaft, weil insbesondere von Arbeitgeberseite beklagt wird, daß die Arbeitsentgelte zu nah an den Sozialhilfesätzen seien. Eine Absenkung muß dann in die Sozialhilfe führen.“ Beispiele: Ein verheirateter Arbeiter mit brutto 3.800 Mark und fünf Kindern hat als Langzeitkranker Anspruch auf 350 Mark Unterstützung pro Monat. Eine Ledige mit 2.000 Mark brutto erhält schon bei Kürzung ihrer Lohnfortzahlung um 20 Prozent 85 Mark Sozialbeihilfe – nach Berechnungen von Engels.

Was das für das Land Bremen an zusätzlicher Belastung ausmacht „läßt sich zur Zeit nicht abschätzen“, sagt Holger Bruns-Kösters, Sprecher von Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD). „Klar ist nur, daß die Entlastung der Krankenkassen durch das Sparpaket ein Abwälzen der Kosten auf die Kommunen ist.“ Ähnlich sieht es der Sozialdezernent des deutschen Städtetages, Stephan Articus: „Dieser Punkt des Sparpakets ist höchst unseriös.“

Articus sieht aber noch ein weiteres Problem: „In der Gesetzesänderung ist vorgesehen, daß Beschäftigte auch pro fünf Krankheits tage auf einen übergesetzlichen Urlaubstag verzichten können.“ Seiner Ansicht nach könnte das zu Problemen mit den Sozialämtern führen: „Die werden darum wahrscheinlich die Unterstützung für die Betroffenen verweigern.“

Als Lösung schlägt Engels von der Kölner Universität ein Modell vor, wie es in den Niederlanden vorgesehen ist. Dort ist geplant, daß die Absenkung der Entgeltfortzahlung nicht so weit gehen darf, daß die ArbeitnehmerInnen Sozialhilfe in Anspruch nehmen können.

Eine andere Möglichkeit wäre, das volle Entgelt über Tarifverträge abzusichern. So geschehen in dem Abschluß der Metallindustrie Niedersachsen. Dort erhalten erkrankte ArbeitnehmerInnen vom Arbeitgeber einen Zuschlag zum Krankengeld, der die Lücke zum vollen Nettoentgelt überbrückt. Da dieser Zuschlag versteuert werden muß, entspricht das Tarifabkommen etwa einer Anhebung des Krankengeldes auf 80 Prozent.

Doch eine solche Einigung ist für die 190.000 Metall-ArbeitnehmerInnen an der Küste und damit auch in Bremen derzeit nicht in Sicht. Für eine „Denkpause“ haben sich die Tarifstreithähne erst einmal in die Weihnachtsferien gerettet. Was aber waren die Gründe, die zum Scheitern der Tarifgespräche über die Existenzsicherung führte? Nach Angaben der Arbeitgeber das reine Prinzip. Man hatte Zahnschmerzen mit der politischen Signalwirkung. Eberhard Schodde, Hauptgeschäftsführer des Bremer Arbeitgeberverbandes: „Wenn die Bundesregierung solche Beschlüsse faßt, können wir das nicht in Tarifabschlüssen konterkarieren.“ Zudem müßten die Tarifverträge schlanker werden, um die Flexibilität der Betriebe nicht einzuengen.

Doch auch die IG-Metall trifft offenbar eine Mitschuld. Laut Schodde waren die Arbeitgeber zunächst bereit gewesen, das niedersächsische Modell zu akzeptieren. Wenn die Gewerkschaftsunterhändler im Gegenzug einen dreiviertel Tag Urlaub abgetreten hätten. Das wollten sie aber nicht.

Jetzt wird erstmal gewarnstreikt. Im Januar soll dann weiter verhandelt werden. Jens Tittmann

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