Die Welt am Ende der Mittel

■ Das in Deutschland einzigartige Berliner "Radio MultiKulti" bekommt von überall viel Lob - trotzdem wird ihm jetzt möglicherweise der Geldhahn zugedreht

Berlin wäre, nicht anders als jede größere deutsche Stadt, zu gerne wie Paris, New York und London. Wer hier als Kulturpolitiker antritt, muß den Städtedreiklang ebenso im Mund führen wie die Standortfritzen aus der Wirtschaftsverwaltung – desgleichen also auch Vertreter der Medien.

Bei denen ist ein Anfang immerhin gemacht: Wer seinen Radioknopf ganz nach rechts dreht, hört Weltmusik, Sprachengewirr, türkische DJs und bosnische Reporter. Das SFB-„Radio MultiKulti“ – Werbespruch: „Die ganze Welt am Ende der Skala“ – sendet da, genau wie viele Kanäle in den genannten Metropolen, Polyglottes und Polyphones: Bis zur Feierabendzeit deutschsprachig aus den vielfältig verwurzelten Szenen der Stadt, dann Fremdsprachenprogramme in allen Zungen und schließlich Musiksendungen, die ihresgleichen suchen. Und nachts hat „Radio Hottentott“ mit Kaurin Kääntopiiri einen festen Sendeplatz – auf Finnisch.

Ein bißchen was anderes also als die staubigen Gastarbeiterinseln der ARD vom Schlage des Frankfurter „Rendezvous in Deutschland“, die ein Insider unlängst mit den Worten: „Hauptsächlich Onanie“ beschrieb. Haufenweise Lob und Preise heimste das Programm ein, unter anderem von der Unesco. Untergebracht ist die Wundertüte, produziert von deutschen und ausländischen Redakteuren, so wie man in Deutschland Ausländer am liebsten hält: in mobilen Containern. Damit man alles schnell wieder wegräumen kann.

Eben dieses Schicksal droht der Multikultiwelle jetzt. Der SFB hat in seinem Haushalt ab 1997 die Gesamtmittel für das Programm nicht bereitgestellt, weil er darauf spekulierte, daß die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) wieder ihren Überschuß für den Sender ausschütten werde. Doch deren Medienrat entschied anders: Er will lieber Geld für ein digitales Sendezentrum zurücklegen – habe man nicht bald ein solches, argumentiert er, sei der hauptstädtische Medienstandort bald weg vom Fenster. Zudem profitiere auch der SFB davon.

Dessen Intendant Günter von Lojewski, obgleich ansonsten eher Freund des Digitalen als des Multikulturellen, zürnte: Noch im September habe die MABB einen Überschuß von 4,3 Millionen angekündigt, daraus hat er gelesen: Mit den 2,6 „MultiKulti“-Millionen ist alles in Butter. Zwar sieht der SFB- Chef juristisch schlecht gegenüber der Medienanstalt aus, die ihren Haushalt autonom festlegen kann. Durch politischen Druck aber will er dennoch versuchen, die MABB auf die Auszahlung des Überschusses zu verpflichten. Der SFB- Rundfunkrat unterstützt ihn darin in der vergangenen Woche ebenso wie das Berliner Parlament, das auf Antrag der Bündnisgrünen (die „MultiKulti“ einst mit initiierten), einen entsprechenden Beschluß faßte.

Beide, SFB und MABB, haben sich fahrlässig in diese Situation manövriert. Der Sender hat es frühzeitig versäumt, das „MultiKulti“-Programm, wenngleich es unter dem Signum SFB 4 auftritt, als reguläres Programm in die – auch finanziellen Planungen – einzubinden. „Zukunft ungewiß“, schrieb die taz bereits im Sommer. Bis heute läuft „MultiKulti“ als Programmversuch, der im September 1997 enden soll. Zumindest die Anschubfinanzierung des Versuchs bis dahin hatte die MABB einst signalisiert – worauf der SFB die Anstalt festlegen will.

Der MABB-Rat hat seinen Digitalbeschluß ohne Bedenken der brisanten Folgen gefällt – und nur indirekt mitgeteilt. „Der SFB muß sehen, wie er mit seinem Haushalt seine Programme finanziert“, argumentiert MABB-Sprecherin Susanne Grams. Allein: Der Haushalt des SFB gibt nach den intensiven Abspeckbemühungen in dem einst aufgeplusterten Haus das Geld tatsächlich nicht her. Zudem leben Privatfunkkontrollbehörden wie die MABB von einem 2-Prozent-Anteil der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühr. Was sowohl die Gebührenkommission KEF als auch viele Rechnungshöfe für viel zu viel halten. Aufgrund dieser Fehlkonstruktion (die die Ministerpräsidenten soeben noch einmal bestätigten) kann der SFB mit einigem Grund verlangen, von der MABB überschüssige Gelder zurückzuerhalten.

Dabei ist „MultiKulti“ gar keine teure Sache. Mit 3,2 Millionen Mark erreichte das Programm im letzten Jahr 130.000 Hörer. Deutsche Hörer – die ausländischen Gebührenzahler mißt keiner. In seiner Kostenstruktur ist das Programm vorbildlich für öffentlich- rechtlichen Rundfunk. Diese Stadt aber, so der grüne Rundfunkrat Joachim Esser, habe wirklich ein Talent, ihre Perlen selbst zu zerstören. Berlin ist eben doch nur Berlin. Lutz Meier