„Hitlergruß“ in Polen gezeigt, in Berlin geahndet

■ Fragwürdiges Ermittlungsverfahren folgt Länderspiel Deutschland gegen Polen

Berlin (taz) – 4. September 1996: Millionen freuen sich auf das Fußballänderspiel Polen gegen Deutschland. Doch was sie zunächst im Fernseher sehen, ist das Bild des „häßlichen Deutschen“: antisemitische Parolen, prügelnde Glatzköpfe, von denen viele den Arm zum „Hitlergruß“ heben. Kurz nach Beginn des Spiels hat die polnische Polizei die 400 bis 500 deutschen Hooligans unter Kontrolle gebracht.

Bundestrainer Berti Vogts wird später von „brutalen Gesten gegen das polnische Volk“ sprechen. Die Taten der Hooligans aber bleiben zunächst ohne Folgen. Vergangene Woche schlug die Berliner Staatsanwaltschaft zu und durchsuchte die Wohnungen zweier Hooligans, die sie per Film beim Zeigen des „Hitler-Grußes“ in Zabrze ertappen konnte. Der Vorwurf gegen die beiden: Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole. Das Pikante: Dies ist zwar nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuches (StGB) verboten, aber eben nur in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft will, wie ihr Sprecher Rüdiger Reiff sagt, dennoch Anklage erheben. „Wir sind der Meinung, daß die Straftat im Inland begangen wurde, wenn auch nicht körperlich.“ Die Hooligans „wußten doch, daß die Bilder in jeder deutschen Stube ankommen“.

Die juristische Konstruktion der Ermittler steht auf tönernen Füßen: „Nulla poena sine lege“ – keine Strafe ohne Gesetz. Dieser Grundsatz wird nach Ansicht des Juraprofessors an der FU Berlin, Uwe Wesel, durch die Staatsanwaltschaft verletzt. Die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens ist umstritten. Peter Weber, Vorsitzender der Berlin-Brandenburger Neuen Richtervereinigung, hält die Konstruktion nur für möglich, wenn Paragraph neun des StGB herangezogen wird: Der Tatort ist danach „auch der Ort, an dem die Tat ihren Erfolg hat“. Etwa wenn durch einen gezielten Steinwurf an der deutsch-schweizer Grenze eine Person hinter dem Schlagbaum verletzt würde. Der Geschäftsführer der Strafverteidigervereinigung, Christoph Meertens, hält den Tatvorwurf für „zumindest prüfwürdig“. Die Umstände hätten doch auf eine medienmäßige Verbreitung „geradezu gezielt“. Der Bundesvorsitzende der Humanistischen Union (HU), Rechtsanwalt Till Müller-Heidelberg, nennt die Vorwürfe „schlicht rechtswidrig“. In der HU ist die Einschätzung nicht einheitlich: Professor Jürgen Seifert (Hannover) verweist darauf, daß es Gesinnungsverbrechen nicht gebe „und Recht nun mal Recht“ bleiben müsse: „Jahrelang hat man es übersehen, daß sie hier durch die Straßen zogen und jetzt schlägt man so drauf“, kritisiert er die juristische Konstruktion. Barbara Junge