Erinnerungsschichten

■ Das Museum für Hamburgische Geschichte zeigt mit „Weitergraben“ Arbeiten des Eppendorfer Künstlers Gerd Stange

Kultur von oben und Kultur von unten: Mit der zeitnahen Eröffnung des Museums der Arbeit und der Kunsthallen-Erweiterung im nächsten Jahr wird ein alter Gegensatz wieder beleuchtet. Doch neben aller Kunstpolitik gibt es noch politische Kunst. Der Eppendorfer Gerd Stange betreibt solche Kunst von ganz unten. Seine Basisarbeit wühlt sich unter die Fundamente unseres Alltags und legt künstlerisch Geschichte frei.

In die Erde gegraben hat er 1990 eine Erinnerung an den verborgenen Terror von Isolation und Folter in der Erikastraße: Die „Verhörzelle“ ist ein tiefes Denkmal für die Geschwister Scholl. Ganz in der Nähe hat er 1995 zusammen mit Michael Batz einen der wenigen erhaltenen unterirdischen Doppelröhren-Bunker aus dem zweiten Weltkrieg geöffnet und der Erinnerungsarbeit als „Subbühne für Wolfgang Borchert“ zugeführt.

Doch es geht Gerd Stange nicht um die Neudefinition von Mahnmalskunst. Wichtig ist ihm die Zusammenarbeit mit den Menschen, die Vermittlung seines Sich-Nicht-Abfinden-Wollens mit dem Vergessen und Verschütten von Geschichte. Und das ist mit zwei Mahnmalen nicht erledigt. Weitergraben heißt folgerichtig, sich und andere fordernd, der Titel einer Ausstellung, die heute im Museum für Hamburgische Geschichte eröffnet wird.

Archäologische Fundstücke von Gerd Stanges realem und metaphorischem Graben, künstlerisch bearbeitete Dokumentar-Fotos und Modelle seiner Projekte bilden ein Ideen-Lager. Ein anatomischer Torso, kopfloser Rest einer akademischen Kunstausbildung, kommentiert es ironisch. Doch auch Malerei ist zu sehen, „weil ich selber sie nicht aufgeben kann, die Malerei“, wie der Autodidakt charmant auch jene „andere Sinnlichkeit“ des Tafelbildes verteidigt.

Krieger-Schichtungen

Eigentlich ist das Museum nicht der rechte Ort für Gerd Stange: „Die Kunst ist ja noch gar nicht erreicht – es sind alles nur Modelle.“ Für den Künstler ist in der Beuys-Nachfolge eine Ausstellung nur ein Hinweis auf das Draußen, „da wo der Schrecken ist“.

Bei seinem Ausgraben von Schichten, seinem „Erfinden neuer Geschichte“ ist jetzt ist das Groß-Borsteler Kriegerdenkmal am Licentiatenberg in sein Visier geraten. Der Klinkerkubus mit bekrönendem Eisen-Adler manifestiert auf einem bronzezeitlichen Grabhügel in Groß Borstel heldische Gesinnung. Eingeladen von der Bürgerinitiative „Groß Borstel gegen Rechts“ plant Gerd Stange, dem Denkmal einen „Soldatengrab-Schützengraben“ hinzuzufügen und so eine aktuelle Sicht auf das steingewordene Manifest des Militarismus zu gewinnen.

„Neue Sicht“ ist dabei wörtlich zu nehmen: da das germanisch-deutsche Kriegerensemble seit 1930 unter Denkmalschutz steht, kann nur am Rand des Hügels eingegriffen werden. Ein zwei Meter tiefer Schützengraben soll gebaut werden, aus dem mittels eines Periskops der Blick von unten auf die Symbole der Macht möglich wird.

Der Plan, das „Nachdenkmal“ zu realisieren und den Berg in eine die Proportionen zurechtrückende „Denkmals-Trilogie“ zu verwandeln, wurde nach langem Hin-und Her (siehe taz 17.02. und 28.08.96) von Kulturausschuß und Bezirksversammlung für gut befunden. Doch trotz schon erfolgreichem Anstoß zu weiterem Nachdenken bei den Bürgern des Stadtteils und der politischen Zustimmung: eine positive Entscheidung ist noch keine Realisierung, denn die Finanzierung bleibt fraglich. Gerd Stange möchte aber schon im Frühjahr in einem Projekt mit Schülern anfangen dort zu graben.

Hajo Schiff

Eröffnung: heute 18 Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, bis 23. Februar. Publikation „weitergraben“ im Dölling & Galitz Verlag.