Bonne chance, Hummer

■ Im vorweihnachtlichen Paris geht es um die frühzeitige Sicherung der Menüs

14 Uhr. Vor den Schaufenstern des Kaufhauses Printemps ist die Hölle los. Und drinnen auch. Die Choreographen unter dem Personal haben sich auch in diesem Jahr wieder viel Mühe gegeben. Da balanciert ein Kaninchen einen Plätzchenturm durch eine auch sonst schwer belebte Backstube, ein Fenster weiter verwüstet eine Horde von Puppen genüßlich ein Kinderzimmer.

Paris vor Weihnachten – zunächst scheint alles wie immer. Zur Grande Arche kommt man nicht, weil am Morgen irgendein Idiot einen RER-Fahrer beleidigt hat, nun die Arbeit auf dieser Linie „bis mindestens 17 Uhr“ eingestellt ist und die Kollegen von der Metro diesen Streik natürlich unterstützen. Die Cafés sind voll, die blaulichteskortierten Ministerautos pflügen sich durch den Dauerstau, und eine japanische Reisegruppe wird von der beheizten Barterrasse verscheucht, weil sie dort mitgebrachten Sushi-Pakete verspeist.

Gegen 16 Uhr merkt man, daß doch etwas anders ist. Dann wird es nämlich dunkel. Natürlich ist noch lange nicht Nacht. Und erst recht nicht Sommer. Keine Straßencafés, niemand flaniert. Das Tempo ist schneller, jetzt hat jeder ein Ziel. Nie besser als um diese Zeit kann man sehen, wie viele Lebensmittelgeschäfte es hier gibt. Hell erleuchtet quellen sie bis auf die Bürgersteige. Sie sind überall. Und sie, allein sie, sind das Ziel der weihnachtsplanenden Pariser. Ungerupfte Fasane, Karnickel, Schalentiere und Meeresfrüchte wechseln – in dieser unverwechselbar französischen, sehr konzentrierten Art des Einkaufens – in feiertäglichen Mengen die Besitzer.

19 Uhr. Rue Tolbiac Ecke Boulevard d'Italie, fast zu Hause. In meiner Tasche klirren beruhigend zwei hübsche Flaschen Wein, der Munster sendet freundliche Schwaden, und das Maishuhn, schön komplett mit Kopf und Füßen, zwinkert auffordernd.

Kurz vor der Ecke kommt mir ein Schalentier entgegen. Ein schönes, großes Schalentier. Ein Hummer. Langsam, aber energisch arbeitet er sich voran. An seiner rechten Schere kleben noch Reste des Plastikbandes, mit dem man ihn gefesselt hatte. Ich weiß, wo er herkommt: aus dem Fischladen um die Ecke, wo er und seinesgleichen schon seit Tagen aufgetürmt übereinander liegen. Offenbar ist niemand hinter ihm her. Noch nicht. Soll ich ihn zurückbringen? Nie! Ich begleite ihn ein paar Häuser weit, damit ihm nichts passiert. Dann lasse ich ihn – bonne chance, schöner Hummer! – alleine weiterziehen. Wirklich nur ganz, ganz kurz hatte ich daran gedacht, ihn mitzunehmen und aufzuessen. Ich tat es nicht.

Das werde ich mir nie verzeihen. Barbara Häusler, Paris