Abschied von der reisenden Rhönforelle

Jürgen Krenzer hat ein Hotel und einen Plan, der seinen Betrieb zum Musterunternehmen im Biosphärenreservat Rhön macht: Öko-Essen, Öko-Umbauten und jede Menge interessierte Gäste  ■ Aus Ehrenberg Felix Berth

Jahrelang kannte die Rhön nur eine gastronomische Spezialität, die Rhönforelle. Und Jürgen Krenzer, im Hotel seiner Eltern groß geworden, fand das völlig normal. Bis ihm ein Bekannter zwei Fragen stellte: Wieso steht die Rhönforelle in beinahe jedem Gasthaus auf der Speisekarte, obwohl in den Bächen kaum noch Forellen leben? Und warum fahren so viele dänische Fischtransporter durch sein Dorf?

Seitdem gibt es in seinem Gasthof keine reisende Rhönforelle mehr, und die kulinarischen Standards eines Provinzgasthauses verschwanden ebenfalls von der Speisekarte: Die Zeit der Schweinelendchen aus Polen und der Rumpsteaks aus Argentinien ist vorbei.

Statt dessen versucht Krenzer sich jetzt im ökologischen Umbau eines Hotelbetriebs – und zwar so, daß sich mehr ändert als die Verpackung der Marmelade und die Häufigkeit des Handtuchwechsels. Und so, daß sich das Experiment lohnt: Seit 1988 hat sich der Umsatz verdoppelt. Das Hotel, das zu Zeiten der Rhönforelle von Krenzer, seiner Mutter und einer Aushilfe betrieben wurde, beschäftigt heute zwölf Leute.

Einen ersten Eindruck liefert die Speisekarte. In dem kleinen Buch beschreibt der Wirt auf 36 eng bedruckten Seiten, was er allein in der Küche heute anders machen läßt: Über fünfzig Prozent der Lebensmittel stammen mittlerweile aus der Rhön. Und es scheint, als wolle Krenzer jede Schweinehälfte persönlich vorstellen. Jedenfalls erfährt der Gast, daß das Schnitzel vom Bauern Christof Gensler stammt, das Biogemüse vom Hof der Familie Bernhard und das Lamm vom Schäfer Josef Kolb. Wer das Rezept für die Hackfleisch-Kraut- Pfanne überliefert hat – die Oma natürlich – liest man ebenso wie eine Liebeserklärung an den hausgemachten Apfelwein.

Das Thema „Apfelwein“ ist gut geeignet, sich den Ideen Jürgen Krenzers zu nähern – und der Beharrlichkeit, mit der er seine Ideen verwirklicht. Natürlich weiß auch er, daß hessischer Apfelwein nicht durch seinen Geschmack bekannt wurde, sondern durch ein kleines, bauchiges Gefäß und einen kleinen, bauchigen Fernsehmoderator. Doch genau diese Klischees reizen Krenzer: „Ich will zeigen, daß Apfelwein mehr ist als der Stoff im Bembel von Heinz Schenk.“

Neulich noch habe ein Gast gespottet: Das Zeug sei doch überall gleich und überall untrinkbar – wieso er sich beim Keltern soviel Mühe gebe? Sein erster Impuls, sagt Krenzer, sei gewesen, den Mann zu ignorieren. Doch dann habe sich der Überzeugungstäter in ihm durchgesetzt: Er führte den unsympathischen Kunden in seinen Weinkeller, ließ ihn vom Apfelwein mit Quitte probieren, vom Apfel-Sherry und von sortenreinen Weinen. „Da hat selbst dieser Typ kapiert, daß es Unterschiede gibt.“

In Krenzers Gasthof fügen sich Geschmack und Ökologie zusammen. Denn die Äpfel für seinen Wein stammen von den Wiesen in der Umgebung. Das spart Transportkilometer und erhält die traditionellen Streuobstwiesen – jene Felder mit alten, hochgewachsenen Bäumen, die seltenen Tierarten wie dem Steinkauz oder dem Siebenschläfer Platz bieten. Diese Wiesen, erklärt uns Krenzers Speisekarte, würden immer häufiger durch Apfelplantagen ersetzt – weil die EU den höheren Ertrag fördert und nicht die Erhaltung der Natur. Apfelwein ist also gewissermaßen der Garant für einen ökologisch korrekten Rausch.

Ein paar Meter hinter dem Gasthof, weiter oben am Hang, steht der Rohbau von Jürgen Krenzers aktuellem Öko-Traum: Eine Apfelweinkelterei mit Gaststube, voneinander nur durch eine Glasscheibe getrennt. „Schaukelterei“ nennt er das Haus, das er so schonend wie möglich bauen will: Solarbeheizt, stark wärmegedämmt, ohne PVC, mit Möbeln aus Apfelholz, das selbstverständlich in der Region geschlagen wurde.

Einfach durchzusetzen war die Kelterei nicht, sagt Krenzer. Erst zweifelten alle, ob sich „so was“ lohnen würde – seine Mutter, die Nachbarn, die Kollegen. Dann legte sich die Gemeinde quer: Solarheizung sei ja ganz nett, aber müsse das Haus deshalb unbedingt nach Süden ausgerichtet sein? Das sei doch im Dorf nicht üblich. Nachdem der Baubeamte überzeugt war, meuterten die Maurer: Wärmedämmung sei sicher sinnvoll, aber die Kalksandsteine seien zu wuchtig. Solche 40 Kilo schweren Dinger zu schleppen verbiete der Tarifvertrag. Auch das ließ sich regeln – mit ein paar zusätzlichen Brotzeiten. Aktuelle Schwierigkeiten? Nur noch wenige, sagt Krenzer. Lediglich der Maler habe sich über die Biofarbe beschwert: Müsse es das Zeug auf Kalk-Kasein-Basis sein? Damit könne man nur einen beigen Farbton hinkriegen. „Mehr braucht's auch nicht“, lautete Krenzers Antwort.

Einer dieser Montagabende im Mehrzwecksaal der Gemeindeverwaltung: Die Wirte aus dem Ort sprechen ihre Veranstaltungen im kommenden Jahr ab. Krenzer kommt ein paar Minuten zu spät. Die Veranstaltung läuft zäh: Wann ist das Preisschafkopfen in Seiferts? Wann der Wandertag der Feuerwehr Wüstensachsen? Und müssen die zwei Sportvereine unbedingt ihre Sommerfeste am gleichen Wochenende veranstalten?

Schließlich stellt Jürgen Krenzer sein Programm vor. Keiner sagt was, einige wundern sich über das, was Krenzer in seinem Gasthof plant: Ein „Rhönschaffest“ mit Rhönschaf vom Spieß, einen „Bauerntag“, auf dem die Lieferanten ihre Produkte zeigen, die Eröffnung der Kelterei – Ereignisse, die sich vor ein paar Jahren hier niemand vorstellen konnte. Skeptische Neugier bei den Kollegen.

Zehn Uhr, die Veranstaltung schleppt sich zum letzten Tagesordnungspunkt „Vermischtes“. Krenzer wirkt zufrieden. In diesen beiden Stunden hat sich mal wieder bestätigt, daß er in seinem Ort noch immer den Status des Pioniers hat. Das sichert ihm den „Öko-Bonus“ bei den Gästen und ist, wie er sagt, eine persönliche Antwort auf den Konkurrenzkampf: „So faul bin ich schon, daß ich Nischen am Markt suche, in denen ich nicht viele Konkurrenten habe.“

Und woher nimmt der Mann die Energie zur ständigen Innovation? Wie kommt er dazu, jedes Jahr einen Schritt weiterzugehen – mal mit einer Anlage zur Regenwassernutzung, mal mit der Kompletteinrichtung eines Hotelzimmers aus heimischem Holz oder jetzt mit der Kelterei? „Zum einen stärkt die direkte Rückmeldung der Gäste. Denn von den meisten kommen enorm positive Reaktionen“, sagt Krenzer.

Außerdem wurde er immer wieder von Außenstehenden „ein bißchen angestupst“ – zum Beispiel von jener Professorin, die mit ihren Studenten eine Ökobilanz des Hotels „Zur Krone“ austüftelte und dabei die Idee der Regenwassernutzung lieferte. Oder von jenem schon erwähnten Bekannten, der sich für die Reise der Rhönforellen interessierte. „Der saß eines Abends, als wir ihn noch nicht kannten, in der Gaststube und fing an, Fragen zu stellen: Woher wir die Lebensmittel beziehen, ob regionale Küche bei uns wichtig sei – und so weiter.“ An jenem Abend im Jahr 1991 wurde schnell klar, warum dieser Dieter Popp soviel wissen wollte: Er war Vorsitzender eines Vereins, der sich um das „Biosphärenreservat Rhön“ kümmern sollte. Was nicht ganz einfach war, denn die Bewohner der Rhön fürchteten anfangs, in einer Art „Indianerreservat“ oder einem „Öko-Zoo“ leben zu müssen. Nach den ersten heftigen Diskussionen fanden Krenzer und Popp eine gemeinsame Linie, das Gasthaus wurde modernisiert und entwickelte sich zu einem der Musterbetriebe des Biosphärenreservats Rhön.

Mittlerweile hat Ratgeber Popp die Rhön verlassen, und Jürgen Krenzer arbeitet an seinem Hotelkonzept allein weiter. Nächstes Frühjahr soll die „Schaukelterei“ fertig sein, dann plant er etwas Ruhe: „Weitere Projekte gibt's erst mal nicht“, sagt er, macht eine kurze Pause – und grinst: „Außer vielleicht einer Brennerei für Apfelschnaps.“

Daß das Bundesland Hessen so was nicht genehmigt, haben ihm die Behörden schon erklärt. Doch erst kürzlich hat er sich an einer kleinen Berggaststätte beteiligt, die im bayerischen Teil der Rhön liegt. Dort sei die Genehmigung zum Destillieren leichter zu kriegen, hat Krenzer herausgefunden – und so könnte er auch dieses Projekt einmal mehr gegen den üblichen Widerstand durchsetzen.

Aber das, vermutet Krenzer, sei dann eine Geschichte fürs nächste Jahrtausend.