"Der Rückzug des Staates wäre fatal"

■ Fünf weitere Goethe-Institute sollen geschlossen werden. "Goethes" neuer Generalsekretär Joachim Sartorius über den interkulturellen Dialog und die Neubewertung des erweiterten Kulturbegriffs. Politisc

taz: Sie haben kürzlich anläßlich Ihrer Amtseinführung als Generalsekretär des Goethe-Instituts (GI) von Ihrer „Regierungserklärung“ gesprochen. Ist das Goethe- Institut inzwischen so groß, daß es einem Staatsapparat gleicht?

Joachim Sartorius: Ich habe davon bewußt in Anführungszeichen gesprochen. Dieser Begriff oder auch die berüchtigten „100 Tage“ traktieren den Parteipolitiker, der nach mehr oder minder schlammiger Wahlschlacht in sein Regierungsamt kommt. Die Mittlerorganisationen wie Goethe-Institut, DAAD oder die Humboldt-Stiftung sind in einem Freiraum geschaffen worden. Der Rahmenvertrag von 1976 zwischen Auswärtigem Amt und Goethe-Institut besiegelt diese Autonomie. Daran wird sich nichts ändern.

Sie haben von einer Neuakzentuierung des „erweiterten Kulturbegriffs“ gesprochen. Hat man das so zu verstehen, daß in Zeiten allgemeiner Rezession auch der Kulturbegriff „enger geschnallt“ werden muß?

Nein, der „erweiterte Kulturbegriff“ ist Ende der 60er Jahre entstanden, und er war ein wichtiger, operativer Begriff, weil man in großer Breite das ganze Feld der auswärtigen Kulturbeziehungen beackern konnte. Mein Eindruck ist, daß dieser Kulturbegriff inzwischen so ausgeweitet ist, daß er wieder in Frage gestellt werden muß.

Wenn man in Ländern der Dritten Welt über Technik und entwicklungspolitische Themen spricht, dann ist das relativ einfach. Man muß sich da nicht unbedingt auf die Kultur des Gastlandes einlassen. Bei kulturellen Themen ist das sehr viel schwieriger. Je weiter man an den Rändern des erweiterten Kulturbegriffs operiert, um so geringer werden die Mühen des Dialogs. Ich möchte den interkulturellen Dialog wieder ernst nehmen.

Hat es Sie überrascht, daß Ihre Neubestimmung des Kulturbegriffs von einigen Beobachtern als Rückkehr zu nationalen Themen und als konservatives Programm aufgefaßt worden ist?

Wenn man so etwas sagt, muß man solcher Reaktionen gewahr sein. Ich habe es aber als ungerecht empfunden, weil ich ein halbes Leben lang nicht mit deutschen, sondern mit internationalen Künstlern gearbeitet habe und dabei den Akzent immer auf das Aktuelle und Experimentelle gelegt habe.

Wer meine Vita ein wenig kennt, müßte wissen, daß es mir nicht um nationale oder konservative Positionen geht. Es kommt vielmehr darauf an, die zentralen Felder der Kulturarbeit, also Tanz, Theater, Performance, Literatur und so weiter, in den Mittelpunkt unserer Aktivitäten zu stellen.

Hans Magnus Enzensberger hat einmal die rhetorische Frage gestellt: „Wen, außer ein paar Rufern in der Wüste, kümmert es schon, ob unser Land ein paar hundert Wissenschaftler nach Freiburg oder Leipzig einladen kann und ob es ein Kulturinstitut in Dakar unterhält oder schließt?“ Haben Sie darauf eine Antwort?

Die auswärtige Kulturpolitik hatte ihre Blütezeit in den 70er Jahren, und das verbinde ich mit Namen wie Ralf Dahrendorf oder Hildegard Hamm-Brücher. Dann ist sie ein wenig an den Rand des Wahrnehmungsfeldes der Politiker geraten. Es gibt jetzt wieder ein schärferes Bewußtsein dafür, daß dieser Bereich der Außenpolitik ungeheuer wichtig ist, um in Zeiten großer Veränderungen den internationalen Dialog zu stabilisieren.

Das neu entflammte Interesse an der auswärtigen Kulturpolitik ist natürlich nicht zuletzt geprägt durch die Interessen der Wirtschaft. Führt das nicht auch zu Mißverständnissen und Überfrachtungen des Kulturbegriffs?

Der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages hat vor kurzem bei einer Tagung in Bonn gesagt, für ihn sei die auswärtige Kulturpolitik eine flankierende Maßnahme der Außenwirtschaftspolitik.

Das ist ein Statement, das wir als Goethe-Institut so nicht hinnehmen können. Ein eigenständiger Bereich wie die auswärtige Kulturpolitik bedarf keiner abgeleiteten Legitimation. Das schließt nicht aus, daß wir in Zeiten starker Kürzungen der öffentlichen Hand versuchen müssen, stärker mit der Wirtschaft ins Gespräch zu kommen.

Steckt darin aber nicht auch eine gewisse Gefahr, in die Abhängigkeit vom Kultursponsoring großer Firmen zu geraten?

Die größte potentielle Gefahr, die ich sehe, wenn die Wirtschaft stärker ins Kultursponsoring einsteigt, ist der Rückzug der öffentlichen Hand. Das wäre fatal. Eine zweite Gefahr besteht darin, daß sich Unternehmen inhaltlich einmischen. Bislang sind überwiegend Einzelprojekte gefördert und selten institutionelle Kosten übernommen worden. Das kann großen Einfluß auf das Profil einer Kultureinrichtung haben.

Nach unseren Erfahrungen kommt es aber Banken oder großen Unternehmen wie Daimler- Benz oder BMW nicht auf eine inhaltliche Einflußnahme an, eher auf eine subtile Form der Werbung. Damit kann das Goethe-Institut ganz gut leben.

Sie verfügen als langjähriger Leiter des Künstlerprogramms des DAAD über eine große Erfahrung mit der auswärtigen Kulturpolitik. Wie steht es denn um den Kulturstandort Deutschland, um den sich gegenwärtig so viele sorgen?

Ich mag die Diskussion um den Wissenschafts-, Kultur- und Wirtschaftsstandort nicht besonders. Das ist mir etwas unheimlich, weil es die Diskussion einengt. Ich bin überzeugt davon, daß die bisher sträflich vernachlässigte kulturelle Dimension der europäischen Integration zum Beispiel viel wichtiger ist als die Standortperspektive.

Im übrigen ist in der Sicht von außen Deutschland als Ort aktuellen kulturellen Geschehens nach wie vor sehr attraktiv. Ein Problem für den Kulturaustausch in der einen Richtung: Es gibt keinen Nachwuchs für „Säulenheilige“ wie Fassbinder, Herzog oder Pina Bausch, die in den 70er Jahren sehr viel bewirkt haben. Vielleicht sind wir blind und erkennen noch nicht die jüngeren Leute dieses Formats. Es muß sie geben.

Wir können nicht über das Goethe-Institut sprechen, ohne die aktuelle wirtschaftliche Lage miteinzubeziehen. Wie sehr sind die 150 Goethe-Institute im Ausland und die 17 Inlandsinstitute von Kürzungen betroffen?

Wir wollen natürlich kein einziges Institut schließen. Die uns auferlegten Stellenkürzungen, knapp 30 im nächsten Jahr und wahrscheinlich fast 40 im darauffolgenden, sind so gravierend, daß wir das nicht mehr durch Teilschließungen und Verlagerungen auffangen können. Mein Vorgänger Horst Harnischfeger hat hier in den letzten fünf Jahren sehr viel abfedern können. Aber wir sind inzwischen an eine Grenze gestoßen. Wir können keine weiteren Personen abziehen. Einzelne Institute würden dadurch wirkungslos werden. Wir können für bevorstehende Schließungen nicht die volle politische Verantwortung tragen. Bei Schließungen muß das Auswärtige Amt zustimmen. In der letzten Woche ist leider die Schließung von fünf weiteren Instituten, in Katmandu (Nepal), Karthoum (Sudan), Coimbra (Portugal), Mendoza (Argentinien) und in Cincinnati (USA) beschlossen worden.

Hinterlassen Sie bei den Schließungen verbrannte Erde, ober gibt es Auffangmöglichkeiten?

In einigen Ländern gelingt es uns, Auffangstrukturen zu schaffen. Cincinnati ist so gesehen eine unechte Schließung. Die zwei Mitarbeiter gehen von dort nach Washington, um einen Schwerpunkt Medienarbeit mitaufzubauen. Wir bemühen uns bei der Schließung in Portugal, daß die Institute in Porto und Lissabon Coimbra mitversorgen können.

Könnte man nicht auch zu der Auffassung gelangen, daß die auswärtige Kulturpolitik bei der allgemeinen Kürzungspolitik noch vergleichsweise gut wegkommt? Lippenbekenntnisse zu Ihrer Arbeit gibt es ja von Kelmut Kohl über Klaus Kinkel bis zu Roman Herzog.

Auf der einen Seite gibt es die flammenden Bekenntnisse der Politiker, aber im finanziellen Bereich sind sie erstaunlich folgenlos geblieben. Die Schließung von 15 Instituten in den letzten drei Jahren hat eine äußerst dramatische Situation heraufbeschworen, das geht an die Substanz.

Wir müssen aber auch über europäische Strukturen nachdenken. Enzensbergers Vorschlag, europäische Institute zu gründen, unterstütze ich voll und ganz. Man müßte auf höchster politischer Ebene einen Beschluß herbeiführen, daß an drei oder vier Orten außerhalb der Europäischen Union Pilotprojekte für europäische Kulturinstitute durchgeführt werden. Dies könnte eine Erfolgsstory werden.

Die Welt hat sich seit 1989 verändert. Wie trägt das Goethe-Institut diesem geopolitischen Wandel Rechnung?

Der Münchener Soziologe Ulrich Beck hat die Situation nach 1989 mit zwei Vokabeln charakterisiert: Ambivalenz und Leere. Damit meinte er auch, daß für viele Institutionen die bisherigen historischen Begründungen für ihre Aktivitäten entfallen sind. Man muß also neu nachdenken über den allgemeinen Kulturbegriff, aber auch über den Auftrag des Goethe-Instituts und das wünschenswerte Institutsnetz nach den geopolitischen Umwälzungen. Hier hat das GI seit 1988 in einem großen Kraftakt 13 neue Institute in Mittel- und Osteuropa gegründet.

Man assoziiert mit dem Goethe-Institut gemeinhin die Sprachprogramme im Ausland. Auch in diesem Bereich haben Sie Veränderungen angekündigt.

Das GI hat zwei Aufträge, die Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit und die Förderung der deutschen Sprache. Mit der Sprachförderung meinen wir es ernst.

Wir wollen nicht bloßen Sprachexport betreiben und glauben nicht, die Entsendung eines weiteren Deutschlehrers sei für sich genommen schon eine gute Sache. Wir arbeiten mit den Deutschlehrern vor Ort, entwickeln gemeinsam Curricula und Lehrwerke, schulen in Mittel- und Osteuropa, wo 13 der insgesamt auf der Welt 20 Millionen Deutschlerner sind, Russischlehrer zu Deutschlehrern um.

Die pädagogische Verbindungsarbeit ist der wichtigste Aspekt unserer Spracharbeit. In diesem Bereich wollen wir auch versuchen, die dominierenden didaktischen und landeskundlichen Positionen etwas zu lockern und wieder mehr Sprachkulturarbeit zu leisten, also die dezidierte Vermittlung von Sprache als Kultur. Interview: Harry Nutt