In der Warteschleife

■ Arbeitgeber brachen ihr Versprechen, zehn Prozent mehr Lehrlinge auszubilden. Zehntausende gehen leer aus

Berlin (taz) – „Lehrstellenbilanz“ heißt das Stück, das alljährlich in Bonn aufgeführt wird. So auch gestern. Vor die Presse trat ein Bildungsminister Jürgen Rüttgers in der Rolle des leicht Resignierten auf, assistiert vom Generalsekretär des Handwerks, Hanns-E. Schleyer, und von Franz Schoser, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT). Der Markt stagniere, Angebot und Nachfrage nach Lehrstellen seien nur „knapp ausgeglichen“.

In Deutschland haben in diesem Jahr 33.500 Jugendliche keine Lehrstelle gefunden, Stand November. Die Statistischen Landesämter und die Bundesanstalt für Arbeit haben zusammengerechnet: 574.500 Ausbildungsverträge wurden unterschrieben, zugesagt aber hatten Industrie, Handel und Handwerk mindestens 625.000 neue Stellen. Mühsam hatte Bundeskanzler Helmut Kohl ihnen dieses Versprechen im Sommer abgerungen.

Noch im Herbst hatte Hans Peter Stihl, Präsident des DIHT, erklärt: „Die Wirtschaft wird bis zum Jahresende allen Jugendlichen, die dies wollen und können, einen Ausbildungsplatz anbieten.“ War das Versprechen ein Versprecher? Hanns-Eberhard Schleyer gab gestern zu, daß im Handwerk im Gegensatz zum vergangenen Jahr zwei Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden. Dies sei „ein leichtes Minus“.

Franz Schoser vom DIHT dagegen versuchte sich in Optimismus. Gemessen an den absoluten Vorjahreszahlen kam der DIHT auf zwei Prozent mehr Lehrverträge. Bis zum 30. September seien es in Industrie und Handel 268.000 gewesen. „Die Unternehmen haben damit trotz der anhaltend schwierigen Beschäftigungslage ihre gesellschaftspolitische Verpflichtung unter Beweis gestellt“, sagte er.

Die zugesagten zehn Prozent Plus verfehlten die Wirtschaftsfunktionäre trotzdem. Drastisch waren die Lehrstellen in den vergangenen Jahren zurückgefahren worden. Im Schnitt ging jeder vierte Ausbildungsplatz zwischen 1991 und 1995 verloren, nur noch jeder dritte Betrieb bildet überhaupt aus. Rüttgers betonte, die Großunternehmen hätten die Talfahrt gestoppt. Sie hätten immerhin fünf Prozent mehr Lehrstellen als im vergangenen Jahr ausgeschrieben. Zuwenig.

Anders als im vergangenen Jahr können die Statistiker noch nicht einmal ein Nullsummenspiel präsentieren. Den suchenden 33.541 Jugendlichen stehen nur noch 19.800 offene Ausbildungsstellen gegenüber. Und bundesweit sind in den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen rund 20.000 Stellen eingerechnet, die voll vom Staat finanziert werden. Jährlich muß die Bundesanstalt für Arbeit etwa vier Milliarden Mark an Subventionen dafür zahlen. Selbst dieses Prämiensystem verliert seine Attraktivität. Im Osten wurden nur 50.000 solcher subventionierter Ausbildungsplätze geschaffen, 2.000 weniger als im Vorjahr.

Was tun? Die Regierungs- und Wirtschaftsprotagonisten sagten gestern, sie würden sich weiter anstrengen, um das Lehrstellenangebot zu erhöhen. Die SPD kündigte an, sie wolle ein „Ausbildungsplatzabgabengesetz“ einbringen. Annette Rogalla