Das Schweigen war mein Gefängnis

■ Bremer Mädchengruppe „Hitchcocks Schwestern“ drehte den Videofilm „Es tickt“ zum Thema sexueller Mißbrauch / Verleih geplant

Über den ersten Satz in ihrem Film waren sich die jungen Frauen von Beginn an einig: „Die Menschen meinen, die Zeit heilt, aber ich glaube, sie lindert nur den Schmerz.“ Mediterrane Gitarrenklänge unterlegen die Worte der Anfangsszene. Ein Mädchen blickt aus dem Fenster und schlägt ein Fotoalbum auf: Die Familie. Der Rahmen der Geschichte ist gesteckt, ihr Tenor ebenfalls. Ein Schlüsselbund und eine Uhr werden vor die Kamera gezerrt, das Mädchen spricht von „Angst“. Ab jetzt wird in Schwarz-Weiß weitererzählt.

Die Geschichte, um die es hier geht, heißt: „Es tickt“. Es ist eine Geschichte, die acht Mädchen und junge Frauen zwischen zwölf und 20 Jahren zum Teil ins Bremer Mädchenhaus geführt hat, es ist ihre eigene. Oder wie es eine der Darstellerinnen formuliert: „Das Thema beschäftigte uns.“ Die Mädchenhaus-Videogruppe „Hitchcocks Schwestern“ schildert in 20 Minuten die Mißbrauchserfahrungen zweier Töchter. Mittwoch abend hatte der Film im Kino 46 Premiere.

„Es tickt“ ist ein Projekt, das sich zwischen zwei Extremen ansiedelt, die widersprüchlicher nicht sein könnten: Sein Gegenstand ist intim, wirkt selbstzerstörerisch und macht stumm – das Medium Film dagegen will die Öffentlichkeit. „Ich fühle mich immer noch komisch damit, erwähnt und gesehen zu werden“, sagt eine 18jährige aus dem Team dazu. „Aber ich bin auch froh, weil ich will, daß das publik wird.“ Zwei, drei Monate habe es gedauert, bis die Videogruppe wie zufällig zum Thema sexueller Mißbrauch gekommen sei. (Vor zwei Jahren hatten sie einen Musikfilm gedreht, ein Krimi mit Lovestory sollte eigentlich folgen.)

Nun liegt also kein Mann tot im Gebüsch; stattdessen nähern sich die Mädchen im Film dem Kern ihrer Gefühle. Alpträume, die Hand des Vaters an der Türklinke, Grimassen schneidende Stofftiere, ein zerbrochener Spiegel, abgeschnittenes Haar. Viele Bilder müssen hier für sich sprechen, Symbole sollen vermitteln, was nicht gezeigt oder gesagt werden kann. Totenstille, selbstkomponierter und selbstgespielter Keyboardsound und Hardcore wechseln sich ab. Nur ab und zu sprechen die beiden Schwestern erklärende Sätze, die von Wortlosigkeit umgeben widerhallen: „Das Schweigen war mein Gefängnis, dessen Türen ich nie zu öffnen gewagt habe.“

Zögernd tasten sich die jungen Frauen an ihr Thema heran, entsprechend sprunghaft entwarfen sie auch die Szenen des Films. „Das Neudrehen und Weglassen zog sich bis zum Schluß“, erzählt ein Mädchen. Als „Prozeß“ bezeichnet Regisseurin und Mädchenhaus-Mitarbeiterin Annette Ortlieb den zweijährigen Workshop, die Vokabeln Therapie und Heilung schwingen mit.

Es mag also nur normal sein, wenn die Filmemacherinnen die Synchronisation von Bild und Text dann am Ende der Produktion nicht mehr ernst genommen haben oder wenn es in der Logik des Drehbuchs etwas hapert. Die Mädchen halten bei sich selbst inne. Sie entrollen im Film auf offener Straße ein Transparent am Haus ihres Vaters: „.. der uns jahrelang mißbraucht hat“. Den Epilog hängen sie an: „Uns wurde nicht geglaubt – es hat sich gelohnt, die zu suchen, die uns unterstützen.“

Einige von den Mädchen wollen auch jetzt noch anonym bleiben; trotzdem soll der Film – von Medienpädagogin Viola Bürgy begleitet, vom Frauenclub ZONTA mit 2.000 Mark gesponsort, bei der Medienwerkstatt der evangelischen Kirche „Neue Horizonte“ kostenlos bearbeitet – ab Anfang '97 verliehen und vielleicht sogar vertrieben werden. Eine Darstellerin: „Übers Verkaufen wird's aber noch Diskussionen geben.“ sip