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Zwischen den RillenBefreiung zum Nabel

■ HipHop, gutbürgerlich: Massive Töne, Kinderzimmer Productions, Fettes Brot

Die Diskussion, ob, und wenn, wie deutschsprachiger HipHop zu sein hat, wurde nie beendet – sie wurde abgeschafft. Der Erfolg hat für Fakten gesorgt, und das kann man den aktuellen Produktionen in ihrer musikalischen Selbstverständlichkeit anhören. Ob nun Massive Töne, Kinderzimmer Productions oder Fettes Brot – vergebens sucht man nach neuesten Beschimpfungen der Fantastischen 4, statt dessen hat man hat sich eingerichtet in Posse, Beats und Heimat.

So wie die Massiven Töne, die Stuttgart gar eine Huldigung zukommen lassen. Zwar wird die Lokalliebe in „Mutterstadt“ relativiert, weil „es ist nicht, wo du bist, es ist, was du machst“, aber es bleibt beim trotzigen „von klein auf geprägt durch die Umgebung“.

Nun ist diese Umgebung für die inzwischen ja auch schon dritte deutsche HipHop-Generation meist der HipHop, und das äußert sich bei den Schwaben auf ihrem ersten Longplayer „Kopfnicker“ darin, daß erst mal der eigene Bauchnabel aufgearbeitet wird: „Jeder sieht, daß ich einmalig bin wie Mona Lisa.“ Thema ist man selbst, und das nahezu ausschließlich und in komisch unflüssigen Versen, die aber gerade dadurch einen obskuren Reiz entfalten.

Weil der Reimzwang gnadenlos regiert, ziehen die drei Rapper penetrant Wörter in die nächste Zeile. Dafür aber stehen sie mit ihrem Mut zur Reduktion hierzulande einsam da. Die Beats kratzen die Grenze zum Primitiven, ohne je den Funk fallenzulassen. Und die Samples kommen schüchtern wie Tanzschüler und weich wie Marshmellows.

Ähnliches Syndrom bei den Kinderzimmer Productions. Das Duo aus Ulm, dem auf ihrem Debüt ein Stranglers-Sample nicht genehmigt wurde, führt in Track eins des Nachfolgers „Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit“ den Beschwerdekrieg gegen das Urheberrecht: „An dieser Stelle stand ein Sample von Kate Bush [...], doch er fehlt, und die Wirkung sagt mir, daß sie jetzt dann flöten geht.“ Im zweiten Song tauchen als Person oder Zitat das Rödelheim Hartreim Projekt und Cora E. auf, und so geht es dann weiter: Rapper Textor ist der beste Reimer, DJ QuasiModo mischt die groovigsten Beats, und überhaupt sind sie die Tollsten. Fazit: „Es ist nicht oder nur wenig Konkurrenz, die mich belastet.“

Andererseits ist die traditionelle Selbstbeweihräucherung hier weniger Selbstzweck als Ausgangspunkt, um zu einem differenzierteren Modell fortzuschreiten, einem Frage-und-Antwort- Spiel mit sich selbst. „Pathetisch wie ich bin, schreib' ich es hin und nieder, wieder und wieder, über und unter, drüber, drunter“, rappt Textor in „Pain“, und seine Texte mögen sich um die klassischen HipHop-Themen drehen, aber eben jenes Hin-und-her- Denken, die Anspielungen, versteckten Zitate und das Hinterfragen des gerade Gesagten erinnern eher an Bands wie Blumfeld.

Und musikalisch ist schon lange nicht mehr soviel passiert. Schon mit ihrer ersten Platte waren sie eine kleine Sensation, weil sie sich einerseits zwar nicht den amerikanischen Traditionen verweigerten, sich aber auch als erster deutscher HipHop-Act allen Szenen und den dazugehörigen Legitimationsdiskussionen entzogen. Die Grundaussage war: Wir machen HipHop mit Respekt für die Einflüsse (deshalb der Anklang an Boogie Down Productions im Namen), aber schließlich kommen wir aus einer anderen Kultur, leben in einer anderen Gesellschaft und haben grundsätzlich andere soziale Voraussetzungen (deshalb Kinderzimmer). Kurz: Kinderzimmer Productions haben für sich anerkannt, daß Ghettos hierzulande eher selten sind, die Faszination an HipHop nichtsdestotrotz aber vorhanden sein kann. Also: HipHop in seiner gutbürgerlichen Phase.

Ihr Ansatz hat vor allem einen großen Vorteil: Die Jungs aus dem Kinderzimmer brauchen vor nichts mehr zurückzuschrecken, ob nun ausuferndes Scratching, das plötzlich gar nicht mehr antiquiert klingt, hinterrücks schleifende Rhythmen in fiesem 6/4-Takt, fröhlich blasende Jazz- Samples, Easy Listening, ein Rockabilly-Stand-Bass, haufenweise Einspielungen aus TV, Filmen, Radio und sonstwoher... Berstend und ohne Hemmungen werden alle Umgebungsgeräusche in die Black box Kinderzimmer gejagt, veredelt und, mit einem satten Beat versehen, wieder ausgespuckt.

Die Voraussetzungen geschaffen dafür haben Fettes Brot und ihr fast schon kabaretthafter Umgang mit HipHop, sie wurden aber auch prompt in eine Ausverkaufsdiskussion hineingezogen. Als Dank haben sie nicht zuletzt mit Hilfe von Viva längst den sicheren Heimathafen Hamburg verlassen. Nun scheinen sie sich in der Fremde aber nicht sonderlich wohl zu fühlen. Schon das Cover von „Außen Top Hits, innen Geschmack“ macht klar, daß man sich nicht widerstandslos dem Geschäft hingeben will. Halb zog man die drei, halb sanken sie wohl, sonst wäre die erste Single „Jein“ wohl nicht erklärbar, die sich mit Hilfe bauernschlauer Schüttelreime und sonstiger eingänger Süßlichkeiten in die Gehörgänge fraß und locker das „Die da“ der Fetten abgab. Andererseits kommt ausgerechnet vom Bravo-verdächtigen Oberhübschling Doktor Renz ein Solostück, das sich vor lauter Schieflage, quer zischenden Geräuschen, schleppenden Beats und verzögerten Breaks gar nicht mehr einkriegt. Und auch ein kleiner Seitenhieb auf ihren eigenen Chartbreaker „Nordisch by Nature“ darf nicht fehlen.

Nicht so schnell mit den jungen Leuten, soll das wohl heißen. Aber die Brote sind nun mal in erster Linie ganz lieblich rappende Jungs, die sich ihrer skills aber so bewußt sind, daß sie nicht ständig damit angeben müssen, und dann besser über ihre Beobachtungen im Schwimmbad reimen. Daß sie die humorigen Kurzzwischenspiele von der Debüt-LP weggelassen haben, mag am zugenommenen Alter liegen, aber zu einem flotten Rap über die Leidenschaft fürs Raumschiff Enterprise sind sie allemal noch in der Lage. „Energie!“ heißt es dort im Refrain, und sehen wir der Tatsache ins Auge: Die Fetten Brote gehören jetzt den Massen, und sie haben es verdient.

Trotzdem: Noch wird die nun ja auch nicht mehr ganz neue Selbstverständlichkeit nicht zu einem wirklich umfassend uncodierten und allgemeinverständlichen Ansatz genutzt. Nicht mal ein einziges profanes Liebesliedchen findet sich auf diesen Platten, statt dessen wird dieses Terrain den Fanta 4 und Rödelheimern überlassen. Der Abnabelungsprozeß ist im Gang, aber er ist lange noch nicht abgeschlossen. Thomas Winkler

Massive Töne: „Kopfnicker“ (MZEE/ EFA)

Kinderzimmer Productions: „Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit“ (Kinderzimmer Productions/EFA)

Fettes Brot: „Außen Top Hits, innen Geschmack“ (Alternation/ Intercord)

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