In Europa geht die Post nicht ab

■ EU-Ministerrat vertagt Liberalisierung auf das Jahr 2000, um vor allem in Frankreich Post-Arbeitsplätze zu erhalten

Brüssel (taz) – Der Liberalisierungsdrang der Europäischen Kommission hat einen heftigen Dämpfer bekommen. Die 15 Postminister der EU haben in Brüssel eine Verordnung über die Zukunft der Postdienste beschlossen, die den Mitgliedsstaaten alles erlaubt, so gut wie nichts vorschreibt und die entscheidenden Fragen auf das Jahr 2000 vertagt. Lediglich bei Postsendungen, die mehr als 350 Gramm wiegen und mindestens das Fünffache des Standardportos kosten, sollen private Unternehmen der Post Konkurrenz machen dürfen. Das sind im wesentlichen Werbeprospekte und Kataloge, die nur zwei Prozent des Postgeschäftes ausmachen.

Einige Regierungen haben für ihre Länder schon längst eine schrittweise Auflösung des Postmonopols beschlossen. In Deutschland etwa sollen Drucksachen bereits ab 1998 auch von privaten Unternehmen verteilt werden dürfen. Bundespostminister Wolfgang Bötsch hatte auch in Brüssel lange Zeit auf Liberalisierung gedrängt, um Chancengleichheit herzustellen. Vor vier Wochen aber knickte Bötsch plötzlich ein. Der Grund: Bundeskanzler Kohl möchte nicht riskieren, daß die Stimmung in Frankreich endgültig umkippt. Die Währungsunion ist ihm wichtiger. Bötsch schwenkte deshalb auf die französische Position ein, nach der die Länder zu Hause tun dürfen, was sie wollen, und die EU bei der Liberalisierung erst einmal Pause macht.

Die Auflösung der Postmonopole würde zwar die Preise senken und vermutlich auch die Kundenorientierung der Post erhöhen, aber gleichzeitig viele Arbeitsplätze kosten. Die SPD-Europaabgeordnete Barbara Schmidbauer zitierte vor kurzem aus einer Studie, die vom EU-Parlament in Auftrag gegeben, aber bisher geheimgehalten wurde. Demnach würden EU-weit bis zu 600.000 Arbeitsplätze vernichtet.

Die Regierung in Paris sperrt sich aus diesem Grund gegen jede weitere Liberalisierung. Das gilt nicht nur für die Post, sondern auch für den Telekom-Markt und die Stromversorgung. Premierminister Alain Juppé, der mit seinem Sparkurs ohnehin fast die ganze Bevölkerung gegen sich hat, fürchtet neue Streiks.

Auch den Regierungen in Belgien und Luxemburg geht die Deregulierung in der EU inzwischen zu weit. Auf dem EU-Gipfel in Dublin am letzten Wochenende wetterte der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker vor allem gegen den deutschen EU-Kommissar Martin Bangemann, der kein Gefühl für die kritische Arbeitsmarktsituation habe. Holland, Finnland und Schweden zeigten sich gestern enttäuscht über das vorläufige Scheitern der Postliberalisierung. Vor allem in Holland entstehen durch die Aufhebung des Postmonopols private Versandunternehmen, die gerne auch in anderen EU-Ländern Geschäfte machen würden. Alois Berger