: Frieden schaffen mit Euro-Waffen
SPD-Politiker plädieren für eine drastische Reduzierung der Nationalarmeen zugunsten einer Euro- Streitmacht. Diese Streitmacht soll verteidigen, Frieden erhalten und Krisen managen ■ Von Dieter Rulff
Berlin (taz) – Heidi Wieczorek- Zeul und Günter Verheugen sehen die Zeit gekommen für eine „drastische Reduzierung“ der Bundeswehr, aber auch der übrigen europäischen Streitkräfte. In einem Diskussionspapier zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitk der Europäischen Union schlagen die stellvertretende Parteivorsitzende und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD „europäisch integrierte Streitkräfte“ vor, die den Mitgliedstaaten drastische Abrüstungen ermöglichen würden. Denn es sei ohnehin nur schwer einzusehen, warum in den westeuropäischen Nato-Mitgliedstaaten knapp zwei Millionen Soldaten Waffendienst leisten, wenn „vom Osten“ keine Bedrohung bestehe, die eine derartig hohe Zahl von Soldaten rechtfertige.
Diese Überlegungen, mit denen die beiden Politiker die programmatischen Positionen der SPD weiterentwickeln wollen, werden erhebliche Konsequenzen für die Struktur der Bundeswehr haben. Denn vor diesem Hintergrund müsse „auch die Diskussion über die Wehrpflicht in Deutschland geführt werden“, betonen Wieczorek-Zeul und Verheugen. Sie verweisen darauf, daß bereits in einer Reihe von EU-Ländern Freiwilligenarmeen bestehen. Als „ziviles Gegenstück“, das heißt alternative Wahlmöglichkeit zu diesem Freiwilligendienst in der Armee, sei ein freiwilliger, sozialer und ökologischer Friedensdienst (European Peace Corps) vorstellbar.
Die beiden Sozialdemokraten revidieren damit die Haltung der SPD, die sich bislang für eine Wehrpflichtarmee ausgesprochen hatte. Sie gehen noch über die Positionen hinaus, mit denen der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping am Wochenende für Aufregung sorgte. Scharping hatte eine Reduzierung der Bundewehr auf unter 300.000 und eine Verkürzung der Wehrzeit auf sechs Monate gefordert.
Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) hielt ihm daraufhin vor, die Forderung liefe unausgesprochen auf eine Berufsarmee hinaus. Eine Schrumpfarmee mit oberflächlicher Ausbildung könne ihren Auftrag nicht erfüllen. Dieser Auftrag erfordert nach Kinkels Meinung „angesichts der militärischen und politischen Unwägbarkeiten in Rußland“ eine „Aufwuchsfähigkeit“ im Verteidigungsfall auf 680.000 Soldaten.
Über diese nationalstaatlichen Betrachtungen gehen Wieczorek- Zeul und Verheugen in ihrem Papier hinaus. Sie gehen davon aus, daß sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU für die Perspektive einer eigenen Verteidigungspolitik, für eine Integration des europäischen Verteidigungsbündnisses WEU in die EU aussprechen solle. Dabei müsse allerdings das Konsensprinzip bewahrt bleiben.
Die beiden Sozialdemokraten empfehlen ihrer Partei, sich den Positionen anzuschließen, die in diesem Zusammenhang von Schweden und Finnland geltend gemacht wurden. Diese sehen vor, der EU eine stärkere Rolle bei der Krisenbewältigung zu geben, wobei sie die übergeordnete Verantwortung des UN-Sicherheitsrats betonen. Die vorgeschlagene Regelung solle „die Teilnahme von EU-Staaten in gemeinsamen Peacekeeping oder Krisenmanagement-Missionen ermöglichen, die von der WEU im Zusammenhang mit der OSZE durchgeführt werden“.
Die SPD-Politiker gehen davon aus, daß die sogenannten Petersberg-Aufgaben der WEU in den entsprechenden EU-Vertrag aufgenommen werden. Diese Petersberg- Aufgaben, die die Außen- und Verteidigungsminister der WEU-Mitgliedstaaten 1992 verabschiedet haben, sehen nicht nur friedenserhaltende Maßnahmen, sondern auch Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens vor.
Bislang, so konstatiert das SPD- Papier, sind sich die europäischen Staaten über die wirklichen Aufgaben eine europäischen Verteidigungspolitk noch nicht einig. Unter anderem gehe es um die Frage: „Sind auch Kriegseinsätze gemeint, oder geht es um Einsätze mit Zustimmung der Konfliktparteien?“ (wie in Bosnien). Verheugen und Wieczorek-Zeul plädieren in diesem Zusammenhang dafür, daß Maßnahmen nur mit Zustimmung der Konfliktparteien und im Auftrag der UN erfolgen.
Diese verteidigungspolitischen Positionen korrespondieren mit Vorschlägen zur Intensivierung einer europäischen Außenpolitik. Die EU braucht, nach Ansicht der beiden SPDler in diesem Bereich „mehr Staatlichkeit“. Es wird erwogen, die Europäische Kommission in Richtung auf eine europäische Regierung weiter zu entwickeln. Ein Mitglied der EU-Kommission soll dann für den gesamten Komplex der europäischen Außenpolitik zuständig sein.
Dabei müsse nach Ansicht von Verheugen und Wieczorek-Zeul das Prinzip der Einstimmigkeit in Richtung auf Mehrheitsentscheidungen in außenpolitischen Fragen überwunden werden. Bei Verteidigungsfragen solle die Einstimmigkeit allerdings auf jeden Fall erhalten bleiben. Das Diskussionspapier wird im kommenden Jahr innerhalb der SPD diskutiert werden und soll dann in das Wahlprogramm für 1998 einfließen.
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