: Die Vernunft der Verrückten
Sparwahn in UKE-Psychiatrie: Was heute gekürzt wird, wird später teurer ■ Von Julia Kossmann
„Bald sind wir wieder beim Verwahren und Wegsperren!“ warnen TeilnehmerInnen des Psychoseseminars am Universitäts-Krankenhaus Eppendorf (UKE) am Donnerstagabend im Hörsaal der Psychiatrie. In dem Seminar treffen sich Betroffene, Angehörige, Psychiatrie-MitarbeiterInnen und MedizinerInnen, um „eine gemeinsame Sprache zu finden“ über das, „was eine Psychose ist und was man in einer Psychose braucht“, sagt der Leiter des Seminars, der Psychologe Thomas Bock. An diesem Abend aber gibt es statt des Gesprächs untereinander die „Erste Verrückten-Pressekonferenz“.
Denn die Psychiatrie des UKE soll 24 Betten und eine entsprechende Anzahl von Stellen abbauen. Damit sollen 1,1 Millionen der insgesamt 53 Millionen Mark, die das UKE 1997 sparen soll, in der Psychiatrie abgezwackt werden. Beispiel sozialpsychiatrische Ambulanz: 600 Patienten, die je nach Situation täglich Beratungen finden, versorgt sie im Jahr. Doch künftig werden hier statt fünf nur noch vier Pfleger arbeiten und die im Krankenhausplan 2000 geplanten zusätzlichen Tagesklinikplätze nicht mehr geschaffen, rechnet Bock vor.
„Wer ist hier eigentlich verrückt?“ Plakate an der Tafel künden von Unmut. Die Presse muß diesmal auf dem Podium Platz nehmen und sich – „ver-rückterweise“ – im Laufe des Abends vieles fragen lassen. Fast 150 Menschen sitzen im Hörsaal. Zum Auftakt klampft ein Betroffener am Rednerpult ein Lied auf der Gitarre: „Make me mad, made in Germany ...“
Die Bonner Gesundheitsreform, die Kassen, Kliniken und Patienten einen harten Sparkurs auferlegt, während die Pharma-Industrie weiter Geld für Pillen von mithin zweifelhaftem Nutzen scheffelt, kehrt den Weg in eine niedrigschwellige Psychiatrie um, die stationäre Aufenthalte zu vermeiden sucht. Gerade bei Psychosen seien Medikamente nur bedingt das richtige Mittel, sagt Dorothea Buck, Mitbegründerin des Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener. Gerade Selbsthilfe, ambulante Betreuung und Zufluchtswohnungen bräuchten mehr Förderung, um langwierige – und teure – stationäre Behandlungen zu umgehen.
Offen schildern Betroffene ihre Lage. Seit Jahren besuche sie die Ambulanz, erzählt eine 50jährige. Jetzt habe sie ihre „Krankheit im Griff“. Wegen eines akuten Schubes war sie vor einiger Zeit mal stationär aufgenommen worden, habe dort aber zwar keine Ansprache bekommen wie in der Ambulanz, dafür aber Medikamente. „Ich bin Anarchist und Tierschützer und denke, soll'n sie doch die Psychiatrie zumachen“, erhebt sich ein anderer Betroffener erst kämpferisch und dann besonnener, denn „andererseits gehe ich wirklich gerne in die sozialpsychiatrische Ambulanz und töpfere da“.
Auf den Vorschlag der Psychiatrie, daß die Klinik ihr Budget selbst verwalten will, um sich nach Bedürfnissen der Patienten richten zu können und zugleich sparsamer zu haushalten, habe die UKE-Verwaltung bislang nicht reagiert, sagt Thomas Bock. Das UKE könne aber künftig die Patienten nicht mehr nach den Normen der seit Beginn der 90er Jahre gesetzlich vorgeschriebenen „Psychiatrie-Personalverordnung“ versorgen. Noch sei die Verordnung in Hamburg nicht ganz umgesetzt, da werde schon das Erreichte wieder beschnitten.
„Nicht im Sinne der psychiatrischen Patienten“ werde da gespart, sagt auch der Direktor der Psychiatrischen Klinik, Prof. Dieter Naber, der auf Gespräche mit der UKE-Verwaltung bezüglich der Selbstbudgetierung hofft. Schließlich arbeite seine Klinik kostendeckend, wenn nicht gewinnbringend fürs UKE. Zur Versorgung seien etwa 0,8 Betten pro 1000 Einwohner notwendig, so Naber, künftig könnten es nur noch etwa 0,42 sein. Da könne es irgendwann passieren, mutmaßt Naber, „daß ein Patient klagt, weil er nicht versorgt wird, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist“.
Doch die „Verrückten“ wollen sich nicht für dumm verkaufen lassen und beschließen, sich Anfang nächsten Jahres den Kaufmännischen Direktor des Uni-Krankenhauses, Behrend Behrends, und einen Vertreter der Krankenkassen zur Diskussion einzuladen. Wird die UKE-Verwaltung – in den vergangenen Jahren häufiger wegen Mißmanagement als wegen vorbildlicher Sparsamkeit im Gespräch – durch den Sparzwang verrückt, können ihr, so scheint's, vielleicht „Verrückte“ Vernunft beibringen.
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