Weniger wunde Ellenbogen in der Neustadt

■ Das Einkaufszentrum Pappelstraße soll bis zum Jahr 2000 verkehrsberuhigt sein /Einige Ladenbesitzer befürchten ihr Ende

Ältere Damen mit aufgeschlagenen Ellenbogen, jugendliche RadlerInnen mit gebrochenem Arm – Optiker Johann Kopp erzählt, in seinem Brillenladen in der Pappelstraße sei auch ambulante Versorgung zu leisten. Er findet, da übertreibt er nicht. Die Pappelstraße – größte Einkaufsstraße der Bremer Neustadt – gilt als eine der unfallträchtigsten der ganzen Stadt. „Überschreitungs- und Drängelunfälle in erheblich großer Zahl“ meldet auch der Verkehrsunfalldienst der Polizei von dort seit Jahren.

Im Alltag sieht das so aus: RadfahrerInnen schlingern auf dem Kopfsteinpflaster am Schienenstrang entlang und scheitern. Vor allem dann, wenn Parkende plötzlich ihre Autotür aufreißen. Auf den Fußgängerweg ausweichend, kollidieren sie mit FlaneurInnen usw. – Die Pappelstraße ist zu eng respektive ihre Fahrbahn zu breit. Aber das wird jetzt alles anders werden: Bis zum Jahr 2000 soll das Neustädter Nebenzentrum verkehrsberuhigt und viel schöner werden.

Seit zehn Jahren ist das Projekt Pappelstraße am Schwelen. Jetzt hat der Neustädter Beirat einer endgültigen Planung vom Amt für Straßen- und Brückenbau zugestimmt. Diese sieht vor, die Fahrbahn auf sechseinhalb Meter zu verkleinern und zu asphaltieren.

Dafür werden Fußweg und Parkstreifen auf bis zu sechs Meter verbreitert und im „Kopenhagener Verband“ (Betonplatten und Naturstein im Wechsel) gepflastert. Mehr Bäume sind anvisiert, was im Gegenzug weniger Parkplätze bedeutet – von derzeit 100 auf 70 (50 legal, 20 illegal). Und last not least: die Straßenbahnschienen kommen weg, in die Oster- und Westerstraße.

Man erhofft sich mehr Bummel- und Aufenthaltsqualität im Stadtteil. Doch nicht alle anliegenden Geschäftsleute sehen das so. Familie Heißenbüttel betreibt in der Pappelstraße ein Kleinelektrogeschäft, und die Aussicht auf den Baustellenbetrieb in den nächsten Jahren treibt Frau Heißenbüttel schon jetzt die Tränen in die Augen. Die Kunden werden wegbleiben. Ist die Straße dann verkehrsberuhigt, werde es bestimmt auch im Laden ruhiger werden. „Unsere Leute kommen doch alle mit dem Auto.“ Schon jetzt treibe sie die verlängerte Öffnungszeit eher in die Großmärkte auf der grünen Wiese. „Wir haben das schlechteste Weihnachtsgeschäft seit 40 Jahren“, schluckt Frau Heißenbüttel.

Eine solche Angst kann Johann Kopp nicht nachvollziehen, und zwar in seiner Rolle als Sprecher des Wirtschafts- und Interessenring Neustadt e.V. – „Wir haben viele informiert.“ Die Planung sei im Sinne des Rings, in dem insgesamt 100 Geschäftsleute aus dem Stadtteil vertreten sind, das sind 50 Prozent aller dort angesiedelten. „Die Attraktivität unseres Einzelhandelszentrums muß vorangetrieben werden“, sagt Kopp.

Attraktivität der Pappelstraße klingt ein klein wenig zynisch, hat man das dortige Straßenleben vor Augen. „Das ist nur in den vergangenen Jahren runtergekommen“, beschwichtigt Optiker Kopp (der übrigens in der Neustadt seinen Hauptsitz hat). Als anerkennungswürdiges Einzelhandelszentrum hat auch Dr. Rainer Lademann aus Hamburg die Pappelstraße bezeichnet. Der Handelsforscher erstellte im Auftrag des Bremer Wirtschaftsressorts ein Gutachten für die Neustädter Einkaufsstraße und bescheinigte ihr eine gute Grundlage, „die in Bremen ihresgleichen sucht“.

Lademann liefert folgenden Rechenbeweis: Liegt in einem Stadtteil die sogenannte Zentralitätszahl über 100 Prozent, bedeutet das Kaufkraftzufluß, das heißt die KundInnen kommen auch von außerhalb zum Einkaufen. Die Neustädter Zentralitätszahl lag im (gesamten) Stadtviertel bereits 1991 bei 116 Prozent. Nur Vegesack könne sich noch damit messen.

„Schön“ ist deshalb aber die Pappelstraße noch lange nicht, das bestätigt auch Geschäftmann Kopp: „Die Geschäfte geben das nicht her.“ Er setzt darauf, daß drei oder vier Ladenbesitzer in den nächsten Jahren sowieso aus Altersgründen aufgeben. Wenn dann noch mit der Verkehrsberuhigung die Mietpreise steigen (die jetzt bei 26 Mark pro qm liegen), würden sicher neue Geschäftsleute aufmerksam. „Süßwaren haben wir ja genug hier“, sagt Kopp. „Ein schönes Schuhgeschäft, neue Modeboutiquen, eine Herrenausstattung stünde uns gut zu Gesicht. Ich persönlich bin auch für mehr Dienstleistung, vielleicht im Babybereich – es gibt ja viele kleine Kinder hier.“

Die Aussicht auf höhere Mietpreise gefällt natürlich den PächterInnen in der Pappelstraße nicht so besonders. Eine Wertsteigerung erwartet jedoch Geschäftsmann Bayram schon für seinen Laden, er ist Inhaber von „Schuh und Schlüssel“. Gutachter Lademann hatte auch dem Bremer Wirtschaftsressort vorgerechnet, daß ohne die Neustadt die „stadtbremische Qualität“ um satte fünf Prozentpunkte sinken würde.

Das Ressort hat daraufhin das Projekt Pappelstraße zur „wirtschaftsstärkenden Komponente“ erklärt und beabsichtigt – nach Zustimmung der Wirtschaftsausschüsse –, sich die Neugestaltungskosten von rund 4,5 Millionen Mark mit der BSAG zu teilen. Letztere bezahlt die Schienenverlegung.

Nur einen Radweg wird es in der Pappelstraße auch fürderhin nicht geben. Die Planer versprachen „Gleichberechtigung“ unter RadlerInnen, FußgängerInnen und Fahrzeugen. Klaus Hintze von der Straßenverkehrsbehörde schmunzelt dazu ein wenig: „Mit einem neuen Belag und neuer Gestaltung kann ich die Radfahrdiskriminierung auch nicht beheben.“ Siehe Ostertorsteinweg. sip