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Italien muß Zeugenschutz überprüfen

■ Skandalgeschrei nach großen Abfindungssummen für Exmafiosi – obwohl die „Kapitalisierung“ Gelder spart

Rom (taz) – Der Aufschrei war – fast – einhellig, er folgte einem Halbsatz des „Konzeugen“ Baldo Di Maggio im Prozeß gegen den siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti: „Eine halbe Milliarde“ Lire, etwa eine halbe Million Mark, habe er 1993 vom Staat erhalten – „als Kapitalisierung der ihm zur sozialen Wiedereingliederung zustehenden Beträge“, wie das für den Zeugenschutz in Italien zuständige Komitee eilig erklärte.

Mittlerweile wurde bekannt, daß anderen Exmafiosi noch höhere Summen genehmigt wurden, sofern sie ihre früheren Kumpane und Bosse prozeßfähig anklagen; insgesamt sieben „Millionäre“ dieser Art gibt es derzeit – der gesamte Zeugenschutz für ehemalige Mitglieder krimineller Organisationen kostet derzeit an die 100 Millionen Mark jährlich und gilt für nahezu tausend Personen und ihre Familien.

Weiter angeheizt wird der Ärger dadurch, daß einige der wichtigsten Zeugen gegen ihre Exkumpane immer mal wieder einfach die Aussage verweigern – bis ihnen der nächste (meist bereits versprochene, dann aber verspätete) Scheck zugestellt wird. Giulio Andreotti reitet seither auf der Sache herum, als sei er damit aus allen Anklagen wegen mafioser Bandenbildung heraus. „Der Staat zahlt diese Leute für ihre Lügen gegen mich. Es ist eine Schande.“

Dabei machten die Mitglieder der Zeugenschutzkommission nicht unerhebliche Gründe für die auf den ersten Blick noblen Zuwendungen geltend. Da nach dem Kronzeugengesetz nicht nur der Aussteiger, sondern auch seine ganze Familie geschützt werden muß – bei Sizilianern und Neapolitanern oft ein Dutzend Personen –, fallen in der Regel Kosten für ansehnlich große Appartements an, mitunter – bei Gefahr einer Entdeckung der neuen Identität – auch mehrere Umzüge und jeweils neue Eingliederungen mit wiederum geänderter Identität.

Die monatlichen Kosten belaufen sich nicht selten auf mehr als 15.000 Mark. Die „Kapitalisierung“, also eine einmalige Zahlung, löscht auf einen Schlag alle Zahlungsverpflichtungen des Staates – im Falle Di Maggio hätte der Staat diese Summe zwischen 1993, dem Beginn des Schutzes, bis 1997 sowieso ausgeben müssen, mit der halben Million ist er für alle Zukunft frei von finanziellen Verpflichtungen gegenüber Di Maggio.

Auch die zeitweilige Aussageverweigerung, die soviel Unmut auslöst, rührt von der spezifischen Gestaltung des Kronzeugengesetzes her. Um den Anschein zu vermeiden, hier würden Vielfachmörder, wenn sie nur geständig sind und ihre Exkumpane preisgeben, mit voller Straffreiheit belohnt, wie dies in den USA tatsächlich der Fall ist, werden die Aussteiger in Italien nicht wie reine Zeugen behandelt, die dann volle Aussage leisten müssen. Vielmehr sind sie gleichzeitig Angeklagte, die dann am Ende des Prozesses tatsächliche auch eine – allerdings meist milde – Haftstrafe erhalten. Als Angeklagte aber haben sie natürlich ein Aussageverweigerungsrecht – und von dem machen sie dann auch Gebrauch, wenn die staatlichen Schecks nicht ankommen.

Da in der italienischen Öffentlichkeit ein Zeugenschutz nach US-Muster mit voller Straffreiheit nicht durchsetzbar ist, will Justizminister Gianni Maria Flick die Sache jetzt durch Differenzierung lösen: Sagt ein Exmafioso nur teilweise aus, bekommt er wie jeder gefährdete Zeuge Personenschutz – aber weder eine neue Identität noch Geld für soziale Wiedereingliederung. Nur wer rückhaltlos aussagt und dafür auch die gebührende Strafe auf sich nimmt, hat künftig Anspruch auf volle Ausstattung mit Geldern für seine Zukunft und die seiner Familie. Werner Raith

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